I. Anwendungsbereich.
Rn 3
§ 287 I gilt für Schadensersatzansprüche aller Art, seien es vertragliche, gesetzliche, aus Verschulden oder Gefährdung, Ansprüche wegen Vertrauensschadens (§§ 122 I, 179 II BGB) oder auf Entschädigung wegen Nichtvermögensschadens (§§ 253 II, 651n II BGB). Erfasst werden ferner Entschädigungsansprüche aus Aufopferung (BGHZ 29, 95, 99 f = NJW 59, 386) und Enteignung (BGHZ 29, 217, 218 f = NJW 59, 771; BGH NJW 85, 387). Im Bereich der Feststellung von Kartellschäden verweist § 33a III GWB ausdrücklich auf § 287 ZPO. Nicht anwendbar ist § 287 I dagegen bei Ansprüchen auf Minderung (BGH WM 71, 1382; aA offenbar BGH NJW 05, 1713, 1714 [BGH 06.04.2005 - XII ZR 225/03] für eine Mietminderung), Ausgleich der Bereicherung (BGH GRUR 62, 261, 262), Vertragsstrafe oder Festsetzung einer Sicherheit (MüKoZPO/Prütting Rz 6), weil es sich nicht um Schadensersatzansprüche handelt. In diesen Fällen ist aber stets zu prüfen, ob nicht eine Anwendung des § 287 II möglich ist (vgl zB BGH NJW-RR 05, 1157, 1158 [BGH 04.05.2005 - VIII ZR 123/04] für eine Minderung nach §§ 437 Nr 2, 441 BGB).
II. Entstehung und Höhe des Schadens.
Rn 4
Nach dem Wortlaut des § 287 I scheint das Gericht in Anwendung dieser Vorschrift auch die Frage entscheiden zu dürfen, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Entsprechend dem Zweck der Norm (Rn 1) greifen die mit ihr verbundenen Beweiserleichterungen aber erst dann ein, wenn die materielle Ersatzpflicht des Schädigers unstr oder nach dem Maßstab des § 286 I bewiesen ist. Im Einzelnen ist deshalb wie folgt zu differenzieren:
1. Konkreter Haftungsgrund.
Rn 5
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der konkrete Haftungsgrund ausschließlich nach den Grundsätzen des § 286 I zu beurteilen ist (BVerfGE 50, 32, 36 = NJW 79, 413, 414; BGHZ 58, 48, 53 = NJW 72, 1126). Dazu gehören alle Tatsachen, aus denen sich die Schadensersatzpflicht einer Person herleitet, dh ihr rechtswidriges Tun oder Unterlassen und ggf ihr Verschulden. Voll bewiesen werden muss also zB der Arztfehler und die als Verletzungsfolge behauptete Gehbehinderung des Patienten (BGH NJW 87, 705, 706 [BGH 24.06.1986 - VI ZR 21/85]). Setzt sich ein rechtwidriges Tun aus einer Mehrzahl von fortgesetzten Einzelakten zusammen, dann ist der den Schadensersatzanspruch auslösende Beginn dieses pflichtwidrigen Verhaltens ebenfalls als konkreter Haftungsgrund nach § 286 I festzustellen (BGH NJW-RR 87, 1019, 1020 [BGH 24.02.1987 - VI ZR 111/86]). Die Anwendung des § 287 ist in diesem Bereich selbst dann ausgeschlossen, wenn der Vollbeweis einer Primärverletzung wegen der Art der Unfallfolge nach § 286 I nicht geführt werden kann (BGH NJW 04, 777, 778; zum Begriff der Primärverletzung vgl BGH MDR 22, 1278 [BGH 26.07.2022 - VI ZR 58/21]). In Betracht kommen aber für die Feststellung des Haftungsgrundes andere Beweiserleichterungen, wobei insb an die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis (§ 286 Rn 28 ff) zu denken ist.
2. Kausalzusammenhang.
Rn 6
In diesem Bereich liegen die eigentlichen Probleme der Norm, die auch heute noch nicht als endgültig geklärt angesehen werden können (vgl MüKoZPO/Prütting Rz 9 ff mwN). In Rspr und Lit wird allgemein zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität unterschieden (BGHZ 221, 43, 48 Rz 12 = NJW 19, 2092 m Anm Ullenboom; St/J/Thole Rz 13 ff). Während im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität der Vollbeweis gem § 286 I erforderlich ist, können bei der haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterungen des § 287 Anwendung finden (BGH NJW 92, 3298 [BGH 22.09.1992 - VI ZR 293/91]). Abzulehnen sind demgegenüber die Auffassungen, alle Kausalfragen entweder generell nach § 286 I (Prölss S. 53 ff; Wahrendorf S. 47 ff) oder nach § 287 zu beurteilen (Hanau S. 117 ff, 135 ff; Gottwald S. 78 ff). Zweifelhaft ist indes die Abgrenzung der beiden Bereiche.
a) Haftungsbegründende Kausalität.
Rn 7
Die Rspr hat die Anwendung des § 286 I in diesem Bereich zT sehr stark eingeschränkt, indem sie allein auf den unklaren Begriff des ›Betroffenseins‹ abgestellt hat. Zur Anwendung des § 287 soll es danach genügen, dass der Vertragspartner oder der durch die jeweilige Vorschrift Geschützte durch ein bestimmtes Ereignis tatsächlich in seinen Rechten ›betroffen‹ worden ist (BGHZ 4, 192, 196 = NJW 52, 301; NJW 83, 998 f; VersR 75, 540, 541). Dagegen ist zu Recht eingewandt worden, dass dadurch die haftungsbegründende Kausalität und damit der Haftungsgrund bereits mit der konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsgutes gegeben ist (zur Kritik vgl Arens ZZP 88 [75], 1, 8 ff; Stoll AcP 176 [76], 145, 185 f). Es ist vielmehr daran festzuhalten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und der Verletzung eines absoluten Rechts, Rechtsguts oder Vermögens des Geschädigten auf jeden Fall zur haftungsbegründenden Kausalität gehört (MüKoZPO/Prütting Rz 10; St/J/Thole Rz 15; R/S/G § 115 Rz 14). Bei Vertragsverletzungen hat dies zur Folge, dass der Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Beeinträchtigung des Rechtgutes nach § 286 I zu beurteilen ist, während sämtliche Schadensfolgen dem Beweismaßstab des §...