Rn 8
Der Ursachenzusammenhang zwischen dem zum Schadensersatz verpflichtenden Verhalten und dem Entstehen des Schadens im Einzelnen unterfällt als Teil der haftungsausfüllenden Kausalität dem Anwendungsbereich des § 287. Nach dieser Vorschrift ist zB zu beurteilen, ob die behauptete Arbeitsunfähigkeit auf dem unfallbedingten Schaden beruht (BGH NVersZ 05, 65). Das Gleiche gilt für die Frage, ob ein Schaden durch ein bestimmtes Ereignis mit verursacht worden ist (BGH NJW-RR 05, 897, 899), welche Anteile verschiedene Mitverursacher an der Entstehung eines Schaden haben (BGHZ 66, 71, 76 = NJW 76, 797), ob aufgrund eines Kartellrechtsverstoßes ein Schaden entstanden ist (BGHZ 211, 146, 163 Rz 43 = NJW 16, 3527, 3533 m Anm Rother), ob der Schaden an einem Fahrzeug auf einer sachwidrigen Reparatur beruht (LG Gießen DAR 17, 525, 527), oder ob ein Dauerschaden auch einem Zweitschädiger zuzurechnen ist (BGH NJW 02, 504, 505). Nach § 287 ist auch der Kausalzusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Verletzten zu beurteilen (BGH NJW 92, 3298 f [BGH 22.09.1992 - VI ZR 293/91]). Im Regressprozess gegen einen Anwalt, Notar, Steuerberater oder Sachverständigen muss das Gericht nach § 287 entscheiden, wie ein vorangegangener oder hypothetischer Rechtsstreit ohne den Beratungsfehler ausgegangen wäre (für die Haftung des Anwalts BGHZ 163, 223, 227 = NJW 05, 3071, 3072; NJW-RR 07, 569, 572). Dies gilt selbst dann, wenn im Vorprozess (oder auch in einem behördlichen Verwaltungsverfahren) der Amtsermittlungsgrundsatz galt oder gegolten hätte (BGHZ 133, 110, 112 ff = NJW 96, 2501, 2502; Hamm FamRZ 22, 204, 207 für die Haftung eines Sachverständigen nach § 839a BGB). § 287 ist ebenfalls anwendbar, wenn es um die Frage geht, wie ein Mandant sich verhalten hätte, wenn er vom Anwalt, Notar oder Steuerberater ordnungsgemäß beraten worden wäre (BGH NJW 04, 1521, 1522 [BGH 18.03.2004 - IX ZR 255/00] für die Anwaltshaftung; BGH MDR 23, 1075, 1076 [BGH 15.06.2023 - III ZR 44/22] für die Notarhaftung; BGH NJW 04, 444 f [BGH 23.10.2003 - IX ZR 249/02] für die Steuerberaterhaftung) oder um die Behauptung, die Reparaturmöglichkeit in einer freien Werkstatt sei ggü einer Reparatur in einer Markengebundenen Vertragswerkstatt gleichwertig (BGH MDR 15, 885 f [BGH 28.04.2015 - VI ZR 267/14]; NJW 19, 852 [BGH 25.09.2018 - VI ZR 65/18] m Anm Gail; vgl auch Frankf NJW-Spezial 11, 395; Ddorf NJW 12, 2044, 2045 [OLG Stuttgart 30.03.2012 - 17 UF 338/11]; Buller/Figgener NJW 15, 2913 f). Nach § 287 sind schließlich die Erfolgsaussichten einer – schuldhaft zu spät eingeleiteten – Vollstreckung zu beurteilen (BGH NJW 93, 734 f [BGH 05.11.1992 - IX ZR 12/92]). Wird etwa durch eine Amtspflichtverletzung eine erfolgreiche Zwangsvollstreckung verhindert und sind keine in Zukunft bestehenden realistischen Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung erkennbar, genügt nach § 287 eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstanden ist, dh dass es in Zukunft keine realistischen Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung geben wird (BGHZ 211, 171, 188 Rz 44 = VersR 17, 1208, 1213).
Rn 9
Entgegen einer in der Lit geäußerten Kritik (Arens ZZP 88, 1, 38 ff, 42; Stoll AcP 176, 145, 193 f; vgl auch R/S/G § 115 Rz 19: dogmatisch unbefriedigend) ist daran festzuhalten, dass auch Folgeschäden vom Anwendungsbereich des § 287 erfasst werden (vgl BGH VersR 09, 69, 70 mwN). Dabei geht es um den Kausalzusammenhang zwischen der ersten haftungsauslösenden Verletzung und einem weiteren, in einem späteren Zeitpunkt auftretenden Schaden. Erforderlich ist stets, dass der geltend gemachte Folgeschaden in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Erstschädiger geschaffenen Gefahrenlage steht, wobei eine wertende Betrachtungsweise geboten ist (BGH NJW 12, 2024, 2025 [BGH 22.05.2012 - VI ZR 157/11]). Erfasst werden zunächst weitergehende Schäden aus derselben Schädigungsursache (BGH MDR 09, 163, 164). Soweit ein neues Rechtsgut betroffen ist, handelt es sich zwar auch bei den Folgeschäden zT um Erstverletzungen. Die in diesem Bereich häufig bestehende Beweisnot spricht aber dafür, § 287 generell auf Folgeschäden idS anzuwenden (vgl MüKoZPO/Prütting Rz 13). Wird etwa der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte durch einen nachfolgenden Omnibus überrollt und dadurch zusätzlich verletzt, beurteilen sich die weiteren Auswirkungen dieser zusätzlichen Verletzung nach § 287 (BGHZ 60, 177, 184 = NJW 73, 993). Das Gleiche gilt für den Ursachenzusammenhang zwischen einem Treppensturz und der Invalidität des Verletzten (BGH NJW 93, 201 [BGH 23.09.1992 - IV ZR 157/91]), zwischen einem HWS-Schleudertrauma und einer anschließenden Hirnverletzung (BGH NJW-RR 87, 339 f [BGH 21.10.1986 - VI ZR 15/85]), einem orthopädischen Dauerschaden (Hamm NJW-RR 94, 481, 482 [OLG Hamm 09.09.1993 - 6 U 58/89]), einem Bandscheibenvorfall (BGH NJW-RR 09, 409 [BGH 14.10.2008 - VI ZR 7/08]; KG NJW-Spezial 10, 330 [KG Berlin 03.12.2009 - 12 U 232/08]) oder einem Tinnitus (München NJW 11, 396 f [OLG München...