I. Reduzierung des Beweismaßes.
Rn 19
Eine Beweiserleichterung besteht zunächst darin, dass die Anforderungen an die richterliche Überzeugung durch eine Reduzierung des Beweismaßes verringert werden (BGHZ 149, 63, 66 = NJW 02, 128, 129; NJW-RR 06, 1238, 1239; NJW 20, 237 Rz 13). Wie sich aus dem unterschiedlichen Wortlaut beider Normen ergibt, braucht sich das Gericht iRd § 287 im Gegensatz zu § 286 I keine Überzeugung über die Wahrheit oder Unwahrheit einer behaupteten Tatsache zu verschaffen. Für die richterliche Überzeugung reicht deshalb eine überwiegende, allerdings auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit eines Schadens aus (BGH MDR 13, 774, 775; BGHZ 227, 84, 100 Rz 56 = NJW 21, 848, 853). Es wird also in Kauf genommen, dass das Ergebnis der Schätzung nicht dem wirklichen Schaden entspricht (BGH NJW 13, 525, 527 Rz 23; BAG MDR 13, 287 [BAG 26.09.2012 - 10 AZR 370/10]). Der Richter muss aber bestrebt sein, seine Schätzung möglichst nahe mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen (BGH NJW-RR 98, 331, 333 [BGH 17.04.1997 - X ZR 2/96]). Eine Entscheidung nach reinen Billigkeitsgesichtspunkten ist dem Gericht verwehrt.
II. Erleichterung der Behauptungslast.
Rn 20
Darüber hinaus ist die Pflicht des Klägers zur genauen Substantiierung der klagebegründenden Tatsachen erleichtert (BGH NJW 00, 1572, 1573; VersR 22, 1608, 1609 Rz 10). Eine Klage darf nicht wegen lückenhaften Vorbringens abgewiesen werden, solange noch greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung vorhanden sind (BGH NJW-RR 00, 1340, 1341 [BGH 01.02.2000 - X ZR 222/98]). Der Kl ist allerdings stets gehalten, sog Schätzungstatsachen vorzutragen, die das Gericht als Anknüpfungspunkt seiner Schätzung zugrunde legen kann (BGH NJW 95, 1023, 1024 [BGH 17.01.1995 - VI ZR 62/94]; NJW 13, 2584, 2585 [BGH 29.05.2013 - VIII ZR 174/12] Rz 20). Diese Anknüpfungstatsachen dürfen nicht nur überwiegend wahrscheinlich sein, sondern müssen zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen; ggf muss zunächst über sie Beweis erhoben werden (BGH NJW 88, 3016, 3017; NJW-RR 98, 331, 333 [BGH 17.04.1997 - X ZR 2/96]; MDR 12, 839 [BGH 08.05.2012 - VI ZR 37/11] Rz 9). Allgemein gehaltenen Angriffen gegen die Schätzungsgrundlagen ohne Bezug zum konkreten Fall braucht das Gericht jedoch nicht nachzugehen (BGH NJW 08, 1519, 1520 [BGH 11.03.2008 - VI ZR 164/07] für den Schwacke-Mietpreisspiegel). Ist der Kl ohne weiteres in der Lage, zur Entstehung und Höhe seines Schadens substantiiert vorzutragen, kommt eine Anwendung des § 287 nicht in Betracht (BGH NJW 96, 775, 776 [BGH 05.12.1995 - X ZR 121/93]). Er muss dann nach § 139 aufgefordert werden, diese Substantiierung vorzunehmen.
III. Freiere Gestaltung der Beweisaufnahme.
Rn 21
Nach § 287 I 2 steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und inwieweit es eine beantragte Beweisaufnahme anordnet. Dies bedeutet, dass es – anders als sonst – nicht verpflichtet ist, allen gestellten Beweisanträgen nachzugehen (BGH NJW 91, 1412, 1413; BGHZ 133, 110, 115 = NJW 96, 2501, 2502; vgl aber auch BVerfG NJW 03, 1655). Die Ablehnung von Beweisanträgen muss allerdings in der gerichtlichen Entscheidung begründet werden (BGH NJW 82, 32, 33 [BGH 13.07.1981 - II ZR 91/80]). Die Grenzen des Ermessens liegen – wie üblich – im Willkürverbot. Willkürlich ist die Zurückweisung eines Beweisantrages zB dann, wenn das Beweisergebnis unabdingbare Grundlage für eine Schadensschätzung gewesen wäre (BGH NJW-RR 88, 534, 535 [BGH 22.12.1987 - IV ZR 6/87]). Das Gleiche gilt, wenn das Gericht eine abstrakte Schadensberechnung zu Lasten des Beweisführers vornimmt, obwohl dieser Beweis für eine konkrete Schadensberechnung angeboten hat (BVerfGE 50, 32, 35 f = NJW 79, 413, 414 [BVerfG 08.11.1978 - 1 BvR 158/78]: Ablehnung des Beweisangebotes als ›höchst unökonomisch‹). Wird eine Beweisaufnahme angeordnet, ist das Gericht an die Regeln über den Strengbeweis (§ 284 Rn 18) und damit an die in der ZPO ausdrücklich genannten Beweismittel gebunden. Die Anwendung des Freibeweises scheidet deshalb iRd § 287 aus.
Rn 22
§ 287 I 2 eröffnet dem Gericht ferner die Möglichkeit, nach seinem Ermessen von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen. So kann etwa von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens abgesehen werden, wenn es um die erforderlichen Kosten für die Beseitigung von Fahrbahnverschmutzungen geht und der Geschädigte die von ihm beglichene Rechnung des mit der Schadensbeseitigung beauftragten Unternehmens vorgelegt hat (BGH MDR 15, 1297 [BGH 15.09.2015 - VI ZR 475/14] Rz 19). Hält das Gericht das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens für überzeugend, kann es nicht gezwungen werden, ein Gegengutachten einzuholen (BGH NJW 89, 3009, 3010 [BGH 20.06.1989 - VI ZR 334/88]). Eine Ermessensüberschreitung liegt allerdings dann vor, wenn das Gericht einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf eine eigene Sachkunde zurückweist, ohne im Einzelnen anzugeben, auf welchen Gründen diese Sachkunde beruht (BGH NJW 97, 1640, 1641 [BGH 25.02.1997 - VI ZR 101/96]; NJW-RR 02, 166, 167 [BGH 17.10.2001 - IV ZR 205/00...