Rn 1
§ 292 stellt klar, dass gesetzliche Vermutungen grds widerlegbar sind und Ausnahmen vom Gesetz ausdrücklich angeordnet werden müssen. Die Wirkung einer gesetzlichen Vermutung besteht darin, dass die vermutete Tatsache nicht mehr beweisbedürftig ist. Insoweit besteht eine Parallele zu den nicht bestrittenen Behauptungen (§ 138 III), dem Geständnis (§ 288) und den offenkundigen Tatsachen (§ 291). Abzugrenzen sind die gesetzlichen Vermutungen des § 292 von den unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutungen, den Fiktionen, den Auslegungsregeln, den sog Vermutungsverträgen (§ 286 Rn 109) und den von der Rspr häufig herangezogenen sog tatsächlichen Vermutungen.
Rn 2
Nicht unter § 292 fallen zunächst bereits dem Wortlaut nach solche Vermutungen, die vom Gesetz als unwiderlegbar ausgestaltet sind. Sie finden sich zB in §§ 39, 267 und 547, § 344 HGB und va in § 1566 I und II BGB sowie in § 1361b IV BGB. Sie haben keine beweisrechtliche Funktion, verändern also insb nicht die Verteilung der objektiven Beweislast, sondern ordnen lediglich eine bestimmte prozessuale oder materiell-rechtliche Rechtsfolge an (St/J/Thole Rz 3). Ist die Vermutungsbasis unstr oder bewiesen, greift zwingend die jeweilige Vermutung ein, und zwar unabhängig davon, ob die Vermutung im Einzelfall mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder nicht. Dadurch unterscheiden sie sich von den Fiktionen, wie sie etwa in den §§ 108 II 2, 119 II, 177 II 2, 892, 893 und 1923 II BGB enthalten sind. Bei ihnen steht von vornherein fest, dass die mit ihnen bezweckte Gleichstellung von zwei Tatbeständen mit der Lebenswirklichkeit nicht übereinstimmt. Im Gesetz wird eine Fiktion häufig durch die Worte ›gilt‹ oder ›gelten‹ zum Ausdruck gebracht. Nicht zu den gesetzlichen Vermutungen gehören ferner Auslegungsregeln. Sie wirken aber wie gesetzliche Vermutungen mit der Besonderheit, dass sie sich nicht auf tatsächliche Behauptungen beziehen, sondern auf die Frage, wie eine Erklärung oder eine Handlung ›im Zweifel‹ zu verstehen ist (MüKoZPO/Prütting Rz 10). Als Auslegungsregeln sind etwa anzusehen die §§ 154 I u II, 329–332, 336–338, 364 II, 415 III, 742, 2258 II, 2269 II und 2304 BGB. Da sie sich nicht auf Tatsachenbehauptungen beziehen, ist § 292 nicht anwendbar. Eine andere Willensrichtung als die vom Gesetz unterstellte muss allerdings voll – dh im Wege des Hauptbeweises – bewiesen werden. Vermutungsverträge sind Vereinbarungen der Parteien, mit denen eine Tatsache – mit oder ohne die Möglichkeit ihrer Widerlegung – als bewiesen gelten soll, falls eine andere Tatsache unstr oder bewiesen ist (ausf Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 26 Rz 47 ff). Sie dienen zwar auch dazu, die Beweisbedürftigkeit einer Tatsache zu beseitigen, fallen jedoch als vertraglich vereinbarte Vermutung ebenfalls nicht unter § 292. Soweit sie in AGB enthalten sind, müssen sie ohnehin am Maßstab des § 309 Nr 12 BGB gemessen werden. Streng zu trennen von den gesetzlichen Vermutungen des § 292 sind die sog tatsächlichen Vermutungen, die – ohne eine gesetzliche Grundlage zu haben – im Einzelfall von der Rspr zur Behebung von Beweisschwierigkeiten herangezogen werden (s dazu unten Rn 6 ff).