Rn 1

Auf die Einhaltung einer verzichtbaren (Rn 57) Verfahrens-, insb Formvorschrift (Rn 3), kann die Partei, in deren Interesse sie liegt, durch Verzicht (Rn 9) oder durch rügelose Einlassung (Rn 10) verzichten. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität hat eine Partei alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur eines Verfahrensverstoßes zu erwirken (BGH NZM 21, 88 [BGH 18.11.2020 - VIII ZR 123/20] Rz 67; NJW 18, 2723 [BGH 14.06.2018 - III ZR 54/17] Rz 37). Erkennt sie einen Verfahrensverstoß und äußert sie sich trotz der Möglichkeit hierzu schuldhaft nicht, ist der Verstoß geheilt (BGH 28.3.19 – IX ZR 147/18 Rz 4). Diese Heilungswirkung (Rn 14) durch wenigstens fahrlässige (Rn 12) rügelose Einlassung hält die betroffene Partei an, einen Verfahrensfehler alsbald zu rügen (BGH v. 26.9.17 – VI ZR 81/17). Sie dient insoweit der Rechtssicherheit. Die Rüge im Nachhinein soll das Verfahrensergebnis nicht mehr in Frage stellen können (zur Rüge erst in der letzten Instanz BGH BeckRS 21, 22748 Rz 44). Zudem müssen nach einem Verzicht oder einer rügelosen Einlassung fehlerhafte und damit an sich unwirksame (Bewirkungshandlungen) oder unzulässige (Einwirkungshandlungen) Verfahrenshandlungen nicht prozessunökonomisch wiederholt werden. Eine Heilung wirkt in den Instanzen fort (§§ 534, 556; Rn 14).

 

Rn 2

§ 295 gilt über Verweise auch für andere Verfahrensordnungen, zB iVm § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren (BSG 13.8.18 – B 13 R 397/16 B Rz 11; NJW 11, 107 [BSG 27.04.2010 - B 2 U 344/09 B]); iVm § 155 FGO – dazu und zur Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 I FGO) und zur unterlassenen Beweisaufnahme als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 II Nr 3 FGO) S 25.6.18 – IX B 138/17 Rz 8; BFH/NV 09, 1665 [BFH 12.06.2009 - II B 26/09]; ferner 20.9.07 – IX B 54/07 (NV); 12.7.07 – III B 138/06 (NV); 29.12.06 – IX B 139/05 (NV); iVm § 173 VwGO (BVerwGE 107, 128, 131 f; NVwZ 08, 563, 568; 18.7.19 – 2 B 7.19 Rz 9). Zur entspr Anwendbarkeit des § 295 im Verfahren nach § 111 BNotO vgl BGH NJW-RR 00, 1664 f [BGH 20.03.2000 - NotZ 20/99]; im FamFG-Verfahren Celle NJW-RR 06, 1076, 1077 (zum Fehlen eines förmlichen Übertragungsbeschlusses nach § 526 iVm § 30 I 3 FGG [s § 68 V FamRG]); Karlsr FGPrax 10, 239, 241 (Erbscheinsverfahren); zur analogen Anwendung im Spruchverfahren s Karlsr 8.11.04 – 12 W 53/04.

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