1. Definition.
Rn 8
Der Begriff der nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit wird von der vermögensrechtlichen Streitigkeit her definiert. Letztere liegt vor, wenn der Kl nachhaltig auch auf wirtschaftliche Vor- oder Nachteile abstellt, wobei es als Indiz von Bedeutung sein kann, ob er zugleich einen Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden geltend macht (BGH NJW 91, 847 [BGH 06.11.1990 - VI ZR 117/90]; 94, 2614; 96, 999 [BGH 17.10.1995 - VI ZR 352/94]; 09, 3161 [BGH 27.04.2009 - II ZB 16/08]: Ausschluss aus Genossenschaft; BAG NZA 84, 332: Kündigungsschutzklage; NZA 90, 202 [BAG 28.09.1989 - 5 AZB 8/89]: Weisungsrecht). Die verbleibenden Streitigkeiten sind nichtvermögensrechtlicher Natur. Leitbild sind Streitigkeiten, die den sozialen Geltungsanspruch des Klägers zur Grundlage haben. Sie sind grds als nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten anzusehen, sofern sich nicht aus dem Klagevorbringen oder offenkundigen Umständen ergibt, dass es dem Kl in wesentlicher Weise auch um die Wahrung wirtschaftlicher Belange geht; dabei haben bloße vermögensrechtliche Reflexwirkungen außer Betracht zu bleiben (BGH NJW 86, 2503; 3141; 91, 897; 94, 2614; NJW-RR 90, 1276; VersR 93, 614; LAG Hamm AnwBl 84, 156). Die praktische Bedeutung der Wertfestsetzung konzentriert sich wegen §§ 23a, b GKG, § 40 II Nr 1 ZPO auf die Fälle des Persönlichkeitsschutzes.
Rn 9
Nichtvermögensrechtlicher Natur sind zB Ehe- und Kindschaftssachen, die in §§ 43 ff FamGKG geregelt werden (vgl Schulte-Bunert/Weinreich/Keske §§ 43 FamGKG ff), sowie Widerrufs- und Unterlassungsansprüche, die ohne Rücksicht auf geldwerte Interessen das Ansehen des Klägers oder das Recht am eigenen Bild als Teil des allg Persönlichkeitsrechts wahren sollen (BGH NJW 86, 3143; 96, 999), Anspruch auf Unterlassung von Belästigungen (BGH NJW 85, 809; s Streitwert-Lexikon Unterlassung), Streit um Ausschluss aus einem Idealverein (Kobl JurBüro 90, 1034; s Streitwert-Lexikon Verein), Anspruch auf Gegendarstellung sowie auf Umbettung einer Leiche (Anders/Gehle/Kunze, 1. Abschnitt Rz 15 ff; Stichw ›Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten‹; weitere Bsp bei Hartmann/Touissant/Laube § 48 GKG Rz 6 ff). Werden aus familienrechtlichen Beziehungen geldwerte Ansprüche hergeleitet, namentlich Unterhalt, handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Einzelheiten werden bei den Stichworten des Streitwert-Lexikons (Rn 27 ff) erörtert.
2. Geltung des § 48 II GKG für alle Streitwertarten.
Rn 10
Auch in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der ZuS nach § 3 frei zu schätzen. Der ReS bestimmt sich entsprechend. Für den GeS gelten § 48 II–IV GKG (vgl auch § 5 Rn 5 aE). Zur Vermeidung unnötiger Differenzierungen sind die dort vorgegebenen Bewertungskriterien – dem Gebot praktischer Konkordanz folgend – auf die Anwendung des § 3 grds zu übertragen (hM, vgl Köln, NJW-RR 02, 1723 [OLG Köln 08.04.2002 - 11 W 25/02]; Musielak/Voit/Heinrich § 3 Rz 13 f; St/J/Roth § 3 Rz 19; MüKoZPO/Wöstmann § 3 Rz 100).
3. Bewertungskriterien des § 48 II GKG.
Rn 11
§ 48 II GKG stellt auf die Umstände des Einzelfalls ab und führt als Bewertungskriterien nur beispielhaft den Umfang und die Bedeutung der Sache sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien auf. Wegen der offenen Fassung der Norm ist jeder Gesichtspunkt zu verwerten, der Bezug zur Wertfestsetzung hat (BVerfG JurBüro 90, 248; Hartmann/Touissant/Laube § 48 GKG Rz 20 ff). Der Umfang der Sache hat nur dann eigenständiges Gewicht, wenn er bei ordnungsgemäßer Bearbeitung nach oben aus dem Rahmen fällt oder wenn er deutlich unter den durchschnittlichen Anforderungen vergleichbarer Sachen liegt (Ddorf AnwBl 86, 250; FamRZ 91, 1079; Kobl JurBüro 99, 475). Hierbei sind der Sachvortrag, die notwendige Anzahl von Terminen und der Aufwand in der Beweisaufnahme mit zu berücksichtigen. Ein außergewöhnlicher Umfang kann bei der Anwendung ausländischen Rechts vorliegen, wenn hiermit besonderer Aufwand einhergeht (Stuttg FamRZ 99, 604; Karlsr FamRZ 07, 751). Eine besondere oder herabgesetzte Bedeutung kann sich sowohl aus der individuellen Lage der Parteien als auch aus Belangen der Allgemeinheit ergeben (in letzterem aA Musielak/Voit/Heinrich § 3 Rz 16). Zu berücksichtigen sind etwa die existenzielle Bedeutung der Sache für die Partei (Schlesw JurBüro 02, 316) und die Stellung einer Partei im öffentlichen Leben (LAG Rostock MDR 01, 337). Die Reichweite des Klageziels kann ebenfalls von Gewicht sein (LG Oldenburg JurBüro 95, 369: Widerruf höher zu bewerten als Unterlassung). Ein Musterprozess ist bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit allerdings nur dann höher zu bewerten, wenn gleichzeitig Belange der Allgemeinheit berührt sind; andernfalls bleibt es bei der alleinigen Berücksichtigung des Klägerinteresses (Rn 4; iE str Musielak/Voit/Heinrich § 3 Rz 16; Anders/Gehle/Kunze Stichwort ›Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten‹ Rz 4; für den vermögensrechtlichen Streit vgl Rn 5).
Insgesamt ist bei der Verwertung der Besonderheiten des Einzelfalls Zurückhaltung geboten, weil andernfalls entgegen dem Gebot praktischer Konkordanz (Rn 10) ZuS- und GeS au...