Prof. Dr. Christoph Thole
I. Grundlage der Entscheidung.
Rn 7
Grundlage der Entscheidung ist das Vorbringen der Parteien und der Tatsachenstoff im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, §§ 128 I, 296a, 525 (BGHZ 77, 306, 308; BGH MDR 96, 308, 309); bei Entscheidung nach Aktenlage (§ 251a) das Datum des versäumten Termins, im schriftlichen Verfahren das Ende der Einreichungsfrist (§ 128).
Das anwendbare Recht bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Verkündung (§ 310). Rechtsänderungen zwischen mündlicher Verhandlung und Verkündungstermin sind – nach Gewährung rechtlichen Gehörs und ggf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156) – zu beachten. Das gilt auch für höhere Instanzen einschließlich der Revisionsinstanz (BGHZ 9, 101 f). Jede Instanz entscheidet nach aktuellem Recht, auch dann, wenn die Vorinstanz die veränderte Rechtslage nicht berücksichtigen konnte (BGH NJW-RR 89, 130 [BGH 12.10.1988 - IVb ZB 80/86]). Damit nicht zu verwechseln sind die Fälle, in denen es nach der Art des Klagesachverhalts oder nach Maßgabe intertemporalen Rechts auf früher geltendes Recht ankommt.
II. Vorgehensweise des Gerichts.
Rn 8
Das Gericht prüft die Prozessvoraussetzungen bzw das Fehlen von Prozesshindernissen vor dem Einstieg in die Begründetheitsprüfung der Klage. Fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt eine Sachurteilsvoraussetzung, hat das Gericht die Klage durch Prozessurteil abzuweisen. Die Zulässigkeit der Klage darf nicht offenbleiben (BGH NJW 00, 3719 f [BGH 19.06.2000 - II ZR 319/98]); andernfalls soll das in der Sache entscheidende Urt nach zweifelhafter Auffassung des BAG nicht der materiellen Rechtskraft fähig sein (BAG NJW 67, 648 [BAG 28.11.1966 - 5 AZR 190/66] für die Zuständigkeit; großzügiger wohl BGH NJW 84, 2346, 2348 für die Bestimmtheit einer Teilleistungsklage). Ausnahmsweise können das Rechtsschutzbedürfnis und das Feststellungsinteresse offenbleiben, wenn die Klage sachlich unbegründet ist (BGH NJW 54, 1159, 1160 [BGH 24.02.1954 - II ZR 3/53]; NJW 78, 2031, 2032 [BGH 14.03.1978 - VI ZR 68/76]). Generell schadet es nicht und mag den Informations- und Rechtsschutzinteressen der Parteien gerecht werden, wenn das Gericht hilfsweise und damit ohne Folgen für die Rechtskraft darauf hinweist, die Klage sei auch unbegründet. Ist die Klage zulässig und der Kläger säumig, kann die Klage nicht durch Endurteil abgewiesen werden, sondern es muss durch Versäumnisurteil nach § 330 oder Urteil nach Lage der Akten (§ 331a) entschieden werden (München NJW-RR 19, 886 [OLG Köln 12.12.2018 - 17 W 134/18] Rz 26) (Vor § 300 Rn 13).
War das Vorbringen zunächst schlüssig, ist es jedoch infolge späteren Vorbringens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unschlüssig geworden, so hat das Gericht die Klage durch Endurteil abzuweisen. Bei widersprüchlichem Vorbringen innerhalb desselben Verfahrens ist der Vortrag aus dem letzten Termin zur mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen, es sei denn, das frühere Vorbringen ist als bindendes Geständnis iSd §§ 288, 290 zu werten (BGH NJW-RR 95, 1340, 1341 mwN; Ddorf OLGR 06, 741). Erforderliche Beweisaufnahmen sind durchzuführen (BGH NJW-RR 95, 1340, 1341 [BGH 28.06.1995 - VIII ZR 1/95]). Umgekehrt kann ein bei Klageeinreichung zunächst unzulässiges Rechtsschutzbegehren oder ein zunächst unschlüssiges Vorbringen bis zur mündlichen Verhandlung noch zulässig bzw schlüssig werden.
III. Mehrheit rechtlicher Gründe.
Rn 9
Dem Gericht steht es grds frei, aus welchen von mehreren einschlägigen Gründen es auf die Klage zuspricht oder sie abweist. Entscheidungsreife besteht, solange das Gericht auf Grundlage einer der Gründe eine abschließende Entscheidung herbeiführen kann. Das gilt auch, wenn sich die Begründungsansätze denklogisch ausschließen (zB Anspruch aus Vertrag oder aus Bereicherungsrecht; vgl BGH NJW 00, 590, 591; Zö/Feskorn Rz 4). Anders ist es wegen der Vollstreckungsprivilegierung des § 850f, wenn ein Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung geltend gemacht wird (Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 10; § 850f Rn 37).
Rn 10
Bei der Hilfsaufrechnung ist dagegen zunächst über das Bestehen der Hauptforderung Beweis zu erheben (sog Beweiserhebungstheorie). Andernfalls wäre unklar, ob die Gegenforderung durch die Aufrechnung verbraucht ist. Die Rechtskraftwirkung des § 322 II bliebe ungewiss. Um einem Streit über die Rückforderung einer geleisteten Zahlung vorzubeugen, gilt Entsprechendes, wenn der Beklagte hilfsweise Erfüllung geltend macht – die tatsächlich erfolgte Zahlung kann aber uU bei der Beweiswürdigung hinsichtlich des Bestehens der Hauptforderung beachtlich sein. Im Urkunden- und Wechselprozess führt die durchgreifende Hilfsaufrechnung zur Abweisung der Klage als in der gewählten Prozessart unstatthaft (BGHZ 80, 97, 99 f).
IV. Haupt- und Hilfsantrag.
Rn 11
Bei Haupt- und Hilfsanträgen ist zu unterscheiden: Ein klageabweisendes Endurteil ergeht, wenn alle Anträge unzulässig und/oder unbegründet sind. Erst wenn der Hauptantrag erfolglos bleibt, kann der Hilfsantrag geprüft werden (BGHZ 150, 377, 381). Das schließt prozessleitende Anordnungen hinsichtlich beider Anträge aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht aus, ebenso wenig eine e...