Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 3
Der Beklagte muss die Aufrechnung mit einer gegen die Klageforderung gerichteten Gegenforderung geltend gemacht haben. Ob es sich um eine inkonnexe oder konnexe Gegenforderung handelt, ist unerheblich, aber für die Ermessensausübung von Bedeutung (Rn 9 f). Die Erklärung der Aufrechnung ist unverzichtbar (BGHZ 103, 362, 368), bloße Ankündigung reicht nicht aus. Der Wortlaut des Abs 1 lässt es zu, sowohl die im Prozess erstmals erklärte Aufrechnung als auch die Geltendmachung der bereits vorprozessual erklärten materiell-rechtlichen Aufrechnung zu erfassen. Das entspricht den Grundsätzen bei § 145 Rn 10 ff und allgM (s Nachweise dort; so auch Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 6). Bei der vorprozessual erklärten Aufrechnung ist freilich der Zweck des Abs 1 weniger tangiert, denn um die Verschleppung eines bereits begonnenen Prozesses geht es dann ebenso wenig und ebenso viel wie bei der Erhebung sonstiger rechtsvernichtender Einwendungen und bei anderen Erfüllungssurrogaten, bei denen die Möglichkeit eines Vorbehaltsurteils gerade nicht besteht.
Rn 4
Hat der Beklagte ein Leistungsverweigerungsrecht (zB nach § 320 BGB wegen mangelhafter Leistung) geltend gemacht, so findet Abs 1 keine Anwendung. Andernfalls wäre das Leistungsverweigerungsrecht seines Sinns entleert, wenn der Kl gleichwohl einen Titel über die an sich nicht durchsetzbare Hauptforderung erhielte (vgl BGH NJW 22, 1174, 1175 Rz 20; 05, 3574, 3576). Geboten ist vielmehr die Zug-um-Zug-Verurteilung (§§ 274, 322 BGB). Wegen der synallagmatischen Verknüpfung nach § 320 Abs 1 BGB kann kein Vorbehaltsurteil ergehen, wenn ein Besteller der Werklohnforderung Ersatz von Mängelbeseitigungskosten entgegenhält (BGH NJW 06, 698 [BGH 24.11.2005 - VII ZR 304/04]), möglich ist es aber bei der Honorarklage des Architekten und Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen aufgrund von Planungs- und Überwachungsfehlern des Architekten (BGH NJW 22, 1174, 1175 [BGH 28.10.2021 - VII ZR 44/18] Rz 21; Ddorf NJW-RR 15, 400, 401 [BGH 22.01.2015 - VII ZR 353/12]). Die Minderung ist der Aufrechnung nicht gleichzusetzen (München BeckRS 17, 129981 Rz 8; Celle NJW-RR 05, 654 [OLG Celle 17.03.2005 - 14 U 76/04]); es fehlt an einem gleichartigen Gegenanspruch, da die Minderung auf unmittelbare Reduzierung des Kaufpreises gerichtet ist (§ 441 III). Anders ist es, wenn der Beklagte mit einem Anspruch nach §§ 441 IV, 638 IV iVm 346 BGB wegen zu viel gezahlten Kaufpreises oder Werklohns aufrechnet.
Rn 5
Keine Aufrechnung iSd Abs 1 und auch sonst ist die Verrechnung unselbstständiger Rechnungsposten (München NJW-RR 03, 864; Celle NJW-RR 05, 654; idS, aber ohne Festlegung BGHZ 165, 134, 136). Eine Aufrechnung darf nicht als Verrechnung behandelt werden mit der Folge, dass die Regelungen zur Aufrechnung umgangen würden (BGH NJW 05, 2771, 2772 zum materiellen Recht). Um eine Aufrechnung, nicht Verrechnung handelt es sich bei der Geltendmachung von selbstständigen Forderungen auf Zahlung der Mängelbeseitigungskosten und der Fertigungsstellungskosten ggü dem Werklohnanspruch des Unternehmers (BGH NJW 05, 2771, 2772 [BGH 23.06.2005 - VII ZR 197/03]). Der Erlass eines Vorbehaltsurteils kann sich dann aber aus anderen Gründen als ermessensfehlerhaft erweisen (Rn 9 f).
Rn 6
Es kommt grds nicht darauf an, ob für die Gegenforderung ein anderes Gericht sachlich oder örtlich und ggf sogar ausschließlich zuständig ist (Ddorf FamRZ 87, 706, 707). Ist für die klageweise Geltendmachung der Gegenforderung ein anderer Rechtsweg oder die Schiedsgerichtsbarkeit eröffnet, so hindert das den Erlass des Vorbehaltsurteils nicht (zur Schiedsvereinbarung OLG Celle MDR 16, 548 [OLG Celle 19.02.2016 - 8 W 15/16] mit Darstellung des Streitstands; aA OLG Bamberg BeckRS 16, 19999). Die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung macht den Erlass eines Vorbehaltsurteils jedenfalls dann erforderlich, wenn die Aufrechnungsforderung zugleich Gegenstand einer Widerklage ist, die an ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit verwiesen worden ist (LAG Köln ArbuR 06, 75, LS). Im Nachverfahren kann das Verfahren ausgesetzt werden (§ 148), um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, in dem anderen Rechtsweg ein (feststellendes) Urt über die Gegenforderung zu erlangen (BGHZ 16, 124, 138 ff); also besteht kein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs wie bei § 17 II GVG (hM, BAG NJW 02, 317; § 17 GVG Rn 13; § 148 Rn 10). Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, das Verfahren nach § 148 auszusetzen. Es kann den Rechtsstreit nach Rechtskraft des Vorbehaltsurteils wegen der Gegenforderung auch ganz an das zuständige Gericht verweisen (LAG BW ZInsO 10, 1655). Das Gericht, an welches der Rechtsstreit verwiesen wird, muss in diesem Fall – anders als bei der Aussetzung – das Nachverfahren gem § 302 IV durchführen. Es entscheidet dann über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung des Vorbehaltsurteils und über einen geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz und damit nicht über eine rechtswegfremde Forderung (so BAG NJW 08, 1020, 1021 [BAG 28.11.20...