Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 2
Die gem § 173 GVG und wegen Art 6 EMRK stets öffentliche Verkündung steht nicht zur Disposition der Parteien (ThoPu/Reichold Rz 1). Der Anwesenheit der Parteien bei der Verkündung bedarf es aber nicht. Zur Wirkung ggü Abwesenden § 312. Ist keine Partei bei der Verkündung anwesend, so muss die Urteilsformel nicht verlesen werden; Bezugnahme auf die Formel reicht aus, § 311 IV 2. Der Verkündung bedarf es im schriftlichen Verfahren (§ 128 Rn 25, aber unten Rn 7) und bei einer Entscheidung nach Lage der Akten (§ 251a Rn 4), für Letztere gelten die Wartefristen in §§ 251a II 2, 331a S 2. Auch der Beschl ist nach mündlicher Verhandlung zu verkünden (§ 329 I). Das Urt und die Verkündung sind im Protokoll festzuhalten, § 160 III Nr 6 und 7 bzw die Urteilsformel als Anlage zum Protokoll hinzuzunehmen (§ 160 V); zur Beweiskraft vgl § 165. Der Verkündungsvermerk (§ 315 III) ersetzt nicht die Feststellung der Verkündung im Sitzungsprotokoll (BGH VersR 89, 604; Frankf 12.9.12 – 1 U 32/09, BeckRS 13, 02866). Die Verkündung ist vom Vorsitzenden vorzunehmen (§ 136 IV). Urteile des Einzelrichters sind durch diesen, nicht das Kollegium zu verkünden; ein Verstoß oder sonstiger Besetzungsfehler bei der Verkündung berührt die Wirksamkeit der Verkündung aber nicht (BAG NJW 15, 3181 [BAG 06.05.2015 - 2 AZN 984/14]; Ddorf MDR 77, 144; sogleich Rn 8). Zur Besetzung des Gerichts bei Richterwechsel § 309 Rn 2.
Rn 3
Das Datum der Verkündung ist für den Lauf der Höchstfrist für die Berufung und Revision gem §§ 517 S 2, 548 maßgeblich; die Frist beginnt auch bei fehlerhafter Verkündung unter Verstoß gegen Abs 1, solange sie mit Beweiskraft protokolliert ist (BGH NJW-RR 94, 127; NJW 99, 143, 144). Die Frist läuft unabhängig davon, ob eine Partei von Verkündungstermin und Urt unverschuldet keine Kenntnis erlangt hat.
Die Verkündung erfolgt durch Vorlesen der Urteilsformel oder ggf durch Bezugnahme (§ 311 II, dort Rn 3 f). Das ›Vorlesen‹ der Urteilsformel setzt deren schriftliche – ggf stenografische – Niederlegung vor der Verkündung voraus (BGH NJW 99, 794, vgl BGHZ 158, 37, 39 = NJW 04, 1666 f; NJW 15, 2342). Das Urteil muss allerdings im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht in vollständiger Form abgefasst sein; Tatbestand und Entscheidungsgründe müssen zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegen (BGH NJW-RR 15, 508, 509). Ein Urt ist wirksam verkündet, wenn im Protokoll die Verkündung des ›anliegenden Urteils‹ vermerkt ist, auch ohne dass die Form der Verkündung (Vorlesen der Urteilsformel oder Bezugnahme) genannt ist (BGH NJW 94, 3358; NJW-RR 15, 508, 509 [BGH 12.02.2015 - IX ZR 156/14]). Das Protokoll erbringt den Beweis dafür, dass das Urt auf der Grundlage einer schriftlich abgefassten Urteilsformel verkündet worden ist (BGH NJW 94, 3358; NJW 15, 2342, 2343 [BGH 21.04.2015 - VI ZR 132/13]; näher § 160 Rn 20); umgekehrt kann bei Schweigen des Protokolls der Beweis der wirksamen Verkündung gerade nicht geführt werden (BGHZ 173, 298 = NJW 07, 3210 Rz 13). Es berührt die Beweiskraft des Protokolls nicht, dass das dem Protokoll nachträglich als Anlage beigeheftete vollständige Urt im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht vorlag, die Anlage also nicht mit der schriftlich abgefassten Urteilsformel identisch ist, die der Verkündung zugrunde lag (BGH NJW 94, 3358; näher § 165 Rn 3).