Prof. Dr. Christoph Thole
I. Überschrift des Urteils.
Rn 2
Als Ausdruck der Legitimation aller Staatsgewalt durch das Volk (Art 20 II GG) muss das Urt die Überschrift ›Im Namen des Volkes‹ enthalten. Es ist eine ästhetische Frage, ob diese Formel der Bezeichnung als ›(End-)Urteil‹ vorangehen muss oder ihr nachfolgt. Fehlt es an der Eingangsformel, ist dies unschädlich (LG Dortmund WuM 95, 548).
II. Vorlesung der Urteilsformel (Abs 2 S 1).
Rn 3
Abs 2 S 1 ist der gesetzliche Regelfall, der auch die Fälle betrifft, in denen die Entscheidung am ›Schluss der Sitzung‹ erfolgt (§ 310 Rn 4; Fischer DRiZ 94, 95, 97). Die Urteilsformel muss im Ganzen vorgelesen werden (BGH NJW 85, 1782, 1783), nicht auch die Eingangsformel. Sie muss schriftlich niedergelegt sein (BGHZ 10, 327, 329 = NJW 53, 1829; NJW 15, 2342; NJW-RR 22, 1363 Rz 23); Tonbandaufzeichnung genügt nicht, wohl aber stenografische Niederschrift (BGH NJW 99, 764 [BGH 05.12.1997 - 2 StR 505/97]). Die Verkündung ist Sache des Vorsitzenden (§ 136 IV). Die Verkündung ist zu protokollieren, § 160 III Nr 7; nur mit der Beweiskraft des Protokolls (§ 165) lässt sich die Verkündung beweisen. Nach Ablauf der Frist von fünf Monaten (§ 517) darf das Protokoll nicht mehr erstellt werden (BGH NJW 11, 1743 [OLG Celle 22.11.2010 - 10 UF 219/10] Rz 20; NJW 15, 2342, 2343 [BGH 21.04.2015 - VI ZR 132/13] Rz 14). Das verlesene Urt ist als Anlage zum Protokoll zu nehmen (§§ 160 II Nr 5, 160 III; BGHZ 10, 327, 329; vgl BGHZ 158, 37, 41 = NJW 04, 1666; 06, 1881, 1882), wohl auch dann, wenn es erst nachträglich vollständig abgesetzt ist (BGH NJW 94, 3358; Zö/Feskorn Rz 3a). Es ist nach § 163 Abs 1 S 1 zu unterschreiben, aber es genügt ein Schriftzug, der individuellen Charakter aufweist und der Unterzeichnende erkennbar ist (im Einzelnen BGH NJW-RR 17, 821 [BGH 17.03.2017 - V ZR 70/16] Rz 13). Heißt es im Protokoll, in Anwesenheit der persönlich erschienenen Parteien sei das aus der Anlage ersichtliche Urt durch ›Verlesen des entscheidenden Teils‹ verkündet worden, so ist § 160 III Nr 7 genügt, obwohl die Formulierung des Verkündungsprotokolls unklar lässt, ob der gesamte Urteilstenor verlesen worden ist (BGH NJW-RR 04, 1651, 1652). Da der Bezug zwischen dem Verkündungsprotokoll und dem verkündeten Urt eindeutig ist, muss das Verkündungsprotokoll nicht fest mit dem verkündeten Urt verbunden sein (BGH NJW-RR 04, 1651). Die Formulierung ›anliegendes Urteil verkündet‹ im Protokoll genügt dem Erfordernis des § 160 Abs 3 Nr 7 und für den Beweis der Verkündung, da der Bezug zwischen Verkündungsprotokoll und verkündetem Urteil eindeutig ist (BGH NJW-RR 15, 508, 509). Enthält das Sitzungsprotokoll nur den Ausspruch ›Beschlossen und verkündet: Die Ehe wird geschieden …‹, so genügt dies wegen Unklarheit über die Entscheidungsform nicht (Naumbg FamRZ 06, 959).
III. Bezugnahme auf die Urteilsformel (Abs 2 S 2).
Rn 4
Die Bezugnahme auf die Urteilsformel reicht aus, wenn bei der Verkündung von den Parteien niemand erschienen ist; auf die Anwesenheit sonstiger interessierter Öffentlichkeit stellt Abs 2 S 2 nicht ab. Das gilt in allen Fällen von § 310 I und daher unabhängig davon, ob es sich um ein Stuhlurteil handelt oder ein VT bestimmt worden ist. Die Vorlesung machte keinen Sinn, wenn die Adressaten des Urteils nicht anwesend sind und daher nicht zu befürchten ist, dass verkündete Urteilsformel und das schriftlich abgefasste spätere Urt divergieren. Die Bezugnahme kann auch konkludent erfolgen (so Jauernig NJW 86, 117); die Urteilsformel muss auch hier anders als bei Abs 2 S 3 bereits schriftlich, aber muss noch nicht unterschrieben vorliegen (BGHZ 10, 327, 329; 137, 49, 52; NJW 06, 1881 Rz 13).
IV. Verkündung ohne schriftliche Abfassung der Urteilsformel (Abs 2 S 3).
Rn 5
Die Verkündung kann ohne vorherige schriftliche Fixierung der Urteilsformel und dessen Vorlesen durch schlichtes Aussprechen der Urteilsformel erfolgen bei Anerkenntnisurteilen iSd § 307, beim Verzichtsurteil iSd § 306 und bei Urteilen, welche die Folge der Zurücknahme der Klage aussprechen. Der letztgenannte Fall geht idR ins Leere, da nach vollständiger Klagerücknahme durch Beschl zu entscheiden ist, § 269 IV, und für Beschlüsse gelten §§ 311 I–III nicht (§ 329 Rn 10). Keine Anwendung auch auf Urteile, die zT auf Klagerücknahme, zT auf streitiger Entscheidung beruhen, auf unechte VU und Entscheidungen nach Aktenlage und auch nicht auf Beschlüsse bei beiderseitiger Erledigungserklärung. Abs 2 S 3 gilt aber entsprechend für ein Urt bei Zurücknahme eines Einspruchs (§ 346) und bei Rechtsmittelrücknahme (§§ 516 III, 565).
V. Mitteilung der Entscheidungsgründe (Abs 3).
Rn 6
Die Entscheidungsgründe sind bei der Verkündung nur nach Ermessen des Vorsitzenden (§ 136 IV) zu verkünden. Die Mitteilung kann durch Vorlesen der bereits abgefassten Gründe oder durch die mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts erfolgen. Im letztgenannten Fall ist auf die Gefahr eines Widerspruchs zur späteren schriftlichen Fassung des Urteils zu achten; die schriftlich niedergelegten Gründe gehen vor (so Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 7).
VI. Verkündungstermin (Abs 4).
Rn 7
Hat das Gericht einen Verkündungstermin angesetzt (§ 310 I Var 2), dann kann das Urt ohne die Anwesenheit der Beisitzer allein durch den Vorsitzenden verkündet werden; auch insoweit is...