Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) 1Die Wirksamkeit der Verkündung eines Urteils ist von der Anwesenheit der Parteien nicht abhängig. 2Die Verkündung gilt auch derjenigen Partei gegenüber als bewirkt, die den Termin versäumt hat.
(2) Die Befugnis einer Partei, auf Grund eines verkündeten Urteils das Verfahren fortzusetzen oder von dem Urteil in anderer Weise Gebrauch zu machen, ist von der Zustellung an den Gegner nicht abhängig, soweit nicht dieses Gesetz ein anderes bestimmt.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 312 ergänzt § 310 und § 311. Das Urt wird durch Verkündung existent, unabhängig davon, ob die Parteien bei der Verkündung anwesend sind und unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie von dem Urteilsinhalt Kenntnis erlangen. Nach dem Schluss der Verhandlung (§ 136 IV) ist die Handlungsbefugnis der Parteien erloschen (Zö/Feskorn Rz 1). Die Notwendigkeit der Anwesenheit der Parteien bei der Verkündung würde zudem das Verfahren idR nur in die Länge ziehen. Den Parteien kann angesonnen werden, sich über den Inhalt der Entscheidung zu informieren.
B. Voraussetzungen.
Rn 2
Es kommt nicht darauf an, aus welchen Gründen die Partei den Verkündungstermin versäumt hat. Hat das Gericht das Urt in einem Termin verkündet, der den Parteien nicht bekanntgegeben worden war, so berührt dies die Wirksamkeit der Verkündung und des Urteils nicht (§ 310 Rn 8). Der Bekanntmachungsfehler führt als Verfahrensfehler nur dann zur Aufhebung des Urteils, wenn der Fehler wesentlich ist, was kaum vorstellbar ist.
Rn 3
Abs 2 bestätigt den Grundsatz, dass das verkündete Urt voll wirksam und existent ist. Auf die Zustellung des verkündeten Urteils an die Parteien kommt es nicht an. Das ist nicht zu verwechseln mit den Fällen, in denen die Zustellung gerade die Verkündung ersetzt (§ 310 III). Gemäß Abs 2 kann von dem wirksamen Urt vollumfänglich Gebrauch gemacht werden, auch, wenn die Gegenpartei davon noch überhaupt keine Kenntnis erlangt hat. Mit Verkündung ist es rechtsmittelfähig. Bei Wiedereröffnung der Verhandlung im Verkündungstermin bedarf es keiner Zustellung der Terminsbestimmung im Wiedereröffnungsbeschluss vAw (§ 218, vgl Zö/Feskorn Rz 3). Die ZPO zieht jedoch an anderer Stelle Zustellungserfordernisse ein, die für den Fristenlauf maßgebend sind, so für den Fristbeginn beim Einspruch gegen ein VU (§ 339); bei den Rechtsmittelfristen (§§ 517, 548, 569, 575); nicht aber bei der Fünf-Monats-Frist (§ 517 S 2), ferner für den Berichtigungsantrag nach § 320 II 1 und die Urteilsergänzung (§ 321 II). Für die Zwangsvollstreckung gilt § 750, im einstweiligen Rechtsschutz ist die Besonderheit des § 929 II zu beachten. Zustellungen sind grds vAw zu bewirken (§ 317), die Zustellung im Parteibetrieb ist heute nur noch die Ausnahme (§ 166 Rn 2).
C. Anwendungsbereich.
Rn 4
Im FG-Verfahren konnte die Entscheidung früher einem Anwesenden zu Protokoll bekannt gemacht werden, § 16 III FGG aF; vgl dazu auch BayObLG NJW 70, 1551, 1552, anders jetzt § 15 FamFG. Zur Anwendung über § 173 VwGO zuletzt BVerwG 17.6.16, 2 B. 101.15.