Prof. Dr. Christoph Thole
1. Allgemeines.
Rn 3
Abs 1 S 2 erfasst nur nicht rechtsmittelfähige Urteile iSd Abs 1 S 1 (›In diesem Fall‹). Wie bei Abs 1 S 1 bedeutet Entbehrlichkeit (›bedarf es nicht‹) keine generelle Pflicht des Gerichts zum Absehen von Entscheidungsgründen, wenn das Gericht zB mit Blick auf Parallelverfahren eine Abfassung für sinnvoll hält (vgl auch Zweibr NJW-RR 97, 1087 betr § 313b). Die Parteiherrschaft setzt sich insoweit nicht zwingend durch. Enthält das Urt Tatbestand und Entscheidungsgründe, obwohl diese nach § 313a I entbehrlich sind, erfüllt dies folgerichtig nicht die Voraussetzungen einer unrichtigen Sachbehandlung nach § 21 GKG (Brandbg FamRZ 07, 1831). Zur Kostenbegünstigung unten Rn 11. Umgekehrt darf ein Gericht Tatbestand und Begründung wegen § 318 nicht nachschieben, wenn es zB die Statthaftigkeit des Rechtsmittels übersehen hat, wohl aber kommt § 321a V in Betracht (unten, Rn 9; Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 8). Anders ist es nur bei Abs 5 (s.u. Rn 8 aE).
Das Absehen von Tatbestand und Entscheidungsgründen kann Fragen nach dem Umfang der Rechtskraft aufwerfen, da der Streitgegenstand nicht durch Tatbestand und Gründe identifizierbar ist. Daher kann sich ggf empfehlen, in einem erläuternden Satz den Streitgegenstand kurz darzulegen (Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 2). Verzichtet das Gericht auf weitere Erläuterungen, so ist der Umfang der Rechtskraft in einem Folgeprozess iZw unter Heranziehung der Akten zu bestimmen.
2. Fallgestaltungen.
Rn 4
Zu unterscheiden sind zwei Fallgestaltungen. Ein Verzicht iSd Abs 1 S 2 Hs 1 muss sich auf die Begründung selbst beziehen. Der Verzicht ist eine bedingungsfeindliche und unwiderrufliche Prozesshandlung (Frankf NJW 89, 841). Die Bedingungsfeindlichkeit bezieht sich auf unbestimmte, externe Umstände, nicht aber auf Prozessergebnisse; daher ist Verzicht für den Fall des Unterliegens oder Obsiegens zulässig (St/J/Althammer Rz 11; Musielak/Musielak Rz 4). Die Prozesshandlungsvoraussetzungen müssen vorliegen; deshalb gilt Anwaltszwang nach § 78 (Naumbg FamRZ 02, 470, LS; näher § 78 Rn 16) und die Form für bestimmende Schriftsätze des § 129 (§ 129 Rn 6). Der Verzicht kann dem Urt vorangehen (Abs 3; Rn 6). Eine nach seinem Wortlaut nicht eindeutige oder konkludente Erklärung der Parteien ist auslegungsfähig auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung (BGH NJW-RR 07, 1451, 1452 [BGH 04.07.2007 - XII ZB 14/07] Rz 10); ein Rechtsmittelverzicht bedeutet (nur) unter den Voraussetzungen von Abs 2 einen Verzicht auf die Entscheidungsgründe. Umgekehrt enthält ein Begründungsverzicht regelmäßig keinen Verzicht auf das Rechtsmittel (BAG EzA § 72a ArbGG 79 Nr 107; BAG NJW 06, 1995 [BAG 15.03.2006 - 9 AZN 885/05]); bei den rechtsmittelfähigen Urteilen (II) bleibt Begründungsverzicht für sich genommen also folgenlos.
Dem Begründungsverzicht stellt Abs 1 S 2 Hs 2 den Fall gleich, dass der wesentliche Inhalt der Gründe in das Protokoll aufgenommen wird. Die Aufnahme in das Protokollurteil meint nicht die nachträgliche Beifügung einer kurzen Wiedergabe des Inhalts der Gründe. Erfasst ist daher wie bei Abs 2 nur das Stuhlurteil, das im Anschluss an den Schlusstermin (§ 136 IV) erlassen wird. Ob mit Abs 1 S 2 eine Absenkung der Begründungsanforderungen einhergeht, ist str. Nach tw vertretener Auffassung soll der ›wesentliche Inhalt‹ iSd Abs 1 S 2 mit den Anforderungen des § 313 III (›kurze Zusammenfassung der Erwägungen‹) übereinstimmen (Zö/Vollkommer 31. Aufl Rz 4 unter Hinweis auf BegrRegE BTDrs 14/4722, 84 f, 93; aA Zö/Feskorn Rz 4; wohl Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 12). In der Tat wären die Unterschiede jedenfalls Marginal und in praxi nicht zu ziehen. Auf dieser Grundlage tritt allerdings eine Entlastung des Gerichts nur insoweit ein, als eine geordnete schriftliche und eigenständige Abfassung der Urteilsgründe entbehrlich ist.