Prof. Dr. Christoph Thole
Gesetzestext
(1) 1Des Tatbestandes bedarf es nicht, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. 2In diesem Fall bedarf es auch keiner Entscheidungsgründe, wenn die Parteien auf sie verzichten oder wenn ihr wesentlicher Inhalt in das Protokoll aufgenommen worden ist.
(2) 1Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestands und der Entscheidungsgründe nicht, wenn beide Parteien auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten. 2Ist das Urteil nur für eine Partei anfechtbar, so genügt es, wenn diese verzichtet.
(3) Der Verzicht nach Absatz 1 oder 2 kann bereits vor der Verkündung des Urteils erfolgen; er muss spätestens binnen einer Woche nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht erklärt sein.
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden im Fall der Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen oder wenn zu erwarten ist, dass das Urteil im Ausland geltend gemacht werden wird.
(5) Soll ein ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe hergestelltes Urteil im Ausland geltend gemacht werden, so gelten die Vorschriften über die Vervollständigung von Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen entsprechend.
A. Normzweck und Grundlagen.
Rn 1
Die Vorschrift ist wie § 313b eine Ausnahme zu § 313 I Nr 5 und 6. Sie ist in allen Instanzen beachtlich; für Berufung und Revision gelten aber vorrangig §§ 540, 564 (näher BGH NZM 21, 432 [BGH 23.02.2021 - VIII ZR 213/20] Rz 8 ff). § 313a ist durch das ZPO-ReformG neu gefasst und die Möglichkeiten zum Absehen von den Gründen im Falle von Abs 1 S 2 Hs 2 erweitert worden (bea auch § 26 Nr 2 S 1 EGZPO). Darin liegt eine Verallgemeinerung von § 495a II aF. Zur jüngsten Änderung durch das FamFG s.u. Rn 7. § 313a dient va der Entlastung des Gerichts, ist aber auch Ausdruck der Parteienherrschaft, denen kein Tatbestand und keine Begründung aufgenötigt werden soll, auf die sie keinen Wert legen. Verknüpft mit § 313a sind insoweit die (allerdings schwach ausgeprägten) Gebührenanreize, die mit dem Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe für die Parteien einhergehen (s.u. Rn 11). § 313a trennt zwischen nicht rechtsmittelfähigen Urteilen (Abs 1) und an sich angreifbaren Entscheidungen (Abs 2). Im Einzelnen ist sodann zu unterscheiden zwischen der Entbehrlichkeit des Tatbestands (Abs 1 S 1) sowie, ergänzend, der Entbehrlichkeit der Entscheidungsgründe aufgrund Verzichts auf die Begründung oder der Aufnahme ihres wesentlichen Inhalts in das Protokoll (Abs 1 S 2) und der Entbehrlichkeit von Tatbestand und Entscheidungsgründen bei einem Stuhlurteil infolge eines Rechtsmittelverzichts (Abs 2). Grds keines Tatbestands und keiner ausführlichen Entscheidungsgründe bedarf es, wenn eine Rechtsmittelüberprüfung ausscheidet und damit Tatbestand und Entscheidungsgründe partiell funktionslos werden. Abs 4 enthält Fallgestaltungen, in denen die Abfassung von Tatbestand und Gründen aus bestimmten Gründen nicht disponibel ist.
B. Voraussetzungen.
I. Entbehrlichkeit des Tatbestands (Abs 1 S 1).
Rn 2
Nach Abs 1 S 1 ist die Abfassung des Tatbestands in der von § 313 verlangten Form entbehrlich, was nicht ausschließt, dass das Gericht in den Gründen auf tatsächliche Feststellungen zurückgreifen muss, um sein Ergebnis sachgerecht begründen zu können. Abs 1 S 1 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Parteien häufig mehr Wert auf die Begründung als auch eine erneute Darlegung der ihnen bekannten Faktenlage legen und der dem Urt zugrunde liegende Sachverhalt nicht mit der Beweiskraft des § 314 verbindlich festgeschrieben werden muss, wenn ein Rechtsmittel nicht statthaft ist. Zu den Auswirkungen auf die Kosten unten Rn 11. Das Rechtsmittel muss unzweifelhaft nicht zulässig sein. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn gegen eine Partei Klageabweisung mangels Partei- oder Prozessfähigkeit erfolgte (denn dies wäre gerade Gegenstand des Rechtsmittels). Gefordert ist, dass das Urt bereits seiner Art nach nicht rechtsmittelfähig ist (insb Revisionsurteil), keine Partei die Beschwersumme für das Rechtsmittel von 600 EUR (§ 511 II Nr 2) erreicht und die Berufungszulassung nicht erfolgt oder (bis 31.12.19) der Beschwerdewert von 20.000 EUR für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544, § 26 Nr 8 EGZPO aF) nicht erreicht ist; demnach ist § 313a auch auf Berufungsurteile anwendbar (München 11.7.12, 3 U 1146/12 – juris). Die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bleibt außer Betracht. Ist nur für eine Partei die Beschwersumme nicht erreicht, darf auf den Tatbestand nicht verzichtet werden. Ist bei einer wertabhängigen Statthaftigkeit des Rechtsmittels nicht eindeutig, ob und in welcher Höhe eine Partei beschwert ist, so ist die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht unzweifelhaft und ein vollständiges Urt anzufertigen. Im NZB-Verfahren ist die Revision nicht alleine deshalb zuzulassen, weil das Berufungsgericht §§ 313a Abs 1, 540 Abs 2 irrtümlich angewendet hat (BGH NJW 17, 2561 [BGH 16.05.2017 - VI ZR 25/16]).
II. Entbehrlichkeit von Tatbestand und Entscheidungsgründen bei nicht rechtsmittelfähigen Urteilen (Abs 1 S 2).
1. Allgemeines.
Rn 3
Abs 1 S 2 erfasst nur nicht rechtsmittelfähige Urteile iSd Abs 1 S 1 (›In diesem Fall‹). W...