Prof. Dr. Christoph Thole
I. Gericht.
Rn 2
Gebunden ist das Gericht, dh der Spruchkörper, der das End- oder Zwischenurteil erlässt. Das schließt die Bindung des Kollegiums an Entscheidungen des Einzelrichters nach Rückübertragung ein (KG JW 25, 1799 Nr 3; Zö/Feskorn Rz 13; St/J/Althammer Rz 5). Ein Wechsel in der Besetzung des Kollegiums hebt die Bindung nicht auf. § 318 gilt für die Gerichte jeder Instanz. Von § 318 zu unterscheiden ist die Bindung des Rechtsmittelgerichts an Entscheidungen der unteren Gerichte und umgekehrt die Bindung des unteren Gerichts an die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (unten Rn 8). Zu § 318 soll auch die Bindung des Instanzgerichts an eigene Entscheidungen nach Zurückverweisung gehören (Rn 8).
Die Bindung gilt für End- und Zwischenurteile (§§ 300, 303), darunter auch für Grundurteile (§ 304). Nichturteile, die den bloßen Schein eines Urteils schaffen (vor §§ 300 ff Rn 11), binden nicht. Nicht lediglich fehlerhafte, sondern wirkungslose Urteile (vor §§ 300 ff Rn 12) sind dagegen von § 318 erfasst, allerdings nur in Gestalt des Aufhebungs- und Änderungsverbots (Rn 5), und nicht iSd Abweichungsverbots (in diese Richtung auch Musielak/Musielak Rz 9), da das Urt entsprechend auch nicht der materiellen Rechtskraft fähig wäre (§ 322 Rn 18). Zu beachten ist, dass auch Teilurteile (§ 301) Endurteile sind (BGH NJW 67, 1231 [BGH 22.02.1967 - VIII ZR 255/64]; § 301 Rn 1); die Bindung bei Teilurteilen leuchtet auch sachlich ein, da Teil- und Schlussurteil nicht zwei voneinander unabhängigen Endurteilen gleichgestellt werden können (Musielak/Musielak Rz 5). Zum Vorbehaltsurteil unten Rn 11 und die Erläuterungen zu § 302.
II. Erlass.
Rn 3
Die Bindung tritt ab Erlass ein, also mit Verkündung oder Zustellung (§ 310 III) (BGH NJW 09, 1422 [BGH 05.03.2009 - IX ZR 90/06] Rz 3 zur FGO: frühestens mit Bekanntgabe). In den Fällen des § 310 III reicht dafür anders als bei § 317 Rn 3 die Zustellung an eine Partei aus (BGHZ 32, 370, 375). Bei einem VU gem § 331 III beginnt die Bindung unter diesen Prämissen erst mit dieser ersten Zustellung, nicht schon mit Übergabe an Geschäftsstelle (zum Meinungsstand mwN, aber im Erg offen Stuttg 26.9.11 – 5 U 85/11 – juris = Die Justiz 12, 39; aA LG Stuttgart AnwBl 81, 197, 198; Rau MDR 01, 794, 795; Anders/Gehle/Hunke ZPO Rz 4); zum Verfahren nach § 495a Schäfer NJOZ 15, 601.
III. Bindung.
Rn 4
Die Bindung äußert sich in einem Aufhebungs- bzw Änderungs- und einem Abweichungsverbot. Die Bindung betrifft nicht das Urt insgesamt einschließlich von tatsächlichen Feststellungen und rechtlicher Würdigung, sondern nur den eigentlichen Ausspruch selbst (BGH BeckRS 19, 25005 Rz 8), wobei die Entscheidungsgründe aber den Umfang der Bindung konkretisieren können (insb bei Klageabweisung, § 322 Rn 69). Die Bindungswirkung entspricht damit der materiellen Rechtskraft des § 322 (BGH NJW 91, 1116, 1117 [BGH 12.12.1990 - VIII ZB 42/90]; 94, 1222 f; 01, 78, 79 [BGH 13.10.2000 - V ZR 356/99]), auf deren Kommentierung verwiesen wird. Auf den subjektiven Umfang der Rechtskraft (§ 325 Rn 5) kommt es nicht an, da § 318 allein die Bindung des Gerichts beschreibt.
1. Aufhebungs- und Änderungsverbot.
Rn 5
Das Gericht darf die einmal erlassene, auch eine inhaltliche falsche Entscheidung außerhalb des Verfahrens nach §§ 319–321 nicht selbst abändern oder ergänzen (näher Lüke JuS 00, 1042, 1043). Dieses Verbot betrifft sowohl eine eigenmächtige Änderung der ursprünglichen Entscheidung als auch den Erlass einer Entscheidung, in der die Entscheidung aufgehoben oder abgeändert wird (BGHZ 44, 395, 297 zur Rechtsmittelzulassung) oder ohne Bezugnahme auf das ursprüngliche Urt ein neues Urt hinsichtlich desselben Streitgegenstands erlassen wird. Zu besonderen Prozesssituationen unten Rn 10 ff. Die Möglichkeit der Parteien, die Bindung des Gerichts durch Vereinbarung abzubedingen, wird gemeinhin verneint (Baumgärtel MDR 69, 173; ThoPu/Reichold Rz 5; St/J/Althammer Rz 9; Zö/Feskorn Rz 10, aA Schlosser Parteihandeln S 16 ff; vgl Wagner S 340 f). Eine eigenmächtige Selbstkorrektur wider den Vertrauensschutz der Parteien wäre aber in einer Entscheidungskorrektur mit Zustimmung der Parteien gerade nicht zu sehen; daher lässt sich das Fehlen der Dispositionsbefugnis allenfalls mit einem übergeordneten, öffentlich-rechtlich geprägten Autoritätsanspruch der gerichtlichen Entscheidung begründen.
Die Bindung entfällt auch nicht dann, wenn das Gericht zwischenzeitlich neue Erkenntnisse gewonnen oder sich die höchstrichterliche Rspr geändert hat (s aber Rn 8). Ist der Urteilsausspruch unklar, sprachlich missraten oder nicht der Zwangsvollstreckung zugänglich, so ändert dies an der Bindung grds nichts (vgl auch St/J/Althammer Rz 10); außerhalb des auf offensichtliche Unrichtigkeiten beschränkten § 319 darf das Gericht keine Klarstellung vornehmen. Ob die Bindung auch dann besteht, wenn das Urt aufgrund der Widersprüchlichkeit und Unklarheit ausnahmsweise nicht der materiellen Rechtskraft fähig ist (§ 322), wird wohl nur für das Abweichungsverbot (Rn 6) zu verneinen sein. Die Parteien können im Streitfalle ggf Fes...