Prof. Dr. Christoph Thole
I. Grundurteil.
Rn 10
Bei einem Grundurteil gelten die Grundsätze § 304 Rn 22. Ein Grundurteil hat für das Betragsverfahren, soweit es den Klageanspruch bejaht hat und soweit dessen Höhe durch den anerkannten Klagegrund gerechtfertigt ist, Bindungswirkung. Der Umfang der Bindungswirkung richtet sich danach, worüber das Gericht bereits entschieden hat, was durch Auslegung zu ermitteln ist. Das Grundurteil bindet nur, soweit es selbst eine bindende Entscheidung zu Streitpunkten treffen wollte (BGH NJOZ 10, 235 Rz 19; NJW-RR 14, 1118 [BGH 20.05.2014 - VI ZR 187/13] Rz 17). Die Bindungswirkung erfasst den Anspruch, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Grundverfahrens zur Entscheidung gestellt ist, nicht aber eine nachträgliche Klageänderung oder -erweiterung (BGH NJW 85, 496 [BGH 02.02.1984 - III ZR 13/83]). Eine Bindung an Ausführungen zur Betragshöhe im Grundurteil besteht nicht (BGH NJW 23, 2332 = BeckRS 22, 12002 Rz 23; NJW-RR 05, 1157, 1158 [BGH 04.05.2005 - VIII ZR 123/04]).
II. Vorbehaltsurteil.
Rn 11
Das Vorbehaltsurteil begründet kraft Natur der Sache eine Modifikation des Aufhebungs- und des Abweichungsverbots; die Bindung umfasst die Zulässigkeit und die Begründetheit der Klage (abgesehen von der Aufrechnung); sie soll aber auch die Zulässigkeit der Aufrechnung erfassen, jedenfalls soweit das Gericht im Urt die Zulässigkeit der Aufrechnung bejaht hat (so BGH NJW 79, 1046, zw, dazu oben § 302 Rn 13). Im Urkundenprozess besteht die Bindung an das Vorbehaltsurteil insoweit, als dies nicht auf den Beschränkungen des Urkundsverfahrens beruht (BGHZ 158, 69, 72 = NJW 04, 1159, 1160; § 600 Rn 6 f).
III. Einstweiliger Rechtsschutz.
Rn 12
Die Bindung gilt unmittelbar auch für Urteile (§ 937) im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren. §§ 927, 936 lassen jedoch Änderungen aufgrund veränderter Umstände zu. Der über einen Schadensersatzanspruch nach § 945 entscheidende Richter ist an Entscheidungen, die er als Arrestrichter getroffen hat, schon deshalb nicht kraft § 318 gebunden, weil der Streitgegenstand ein anderer und das Schadensersatzverfahren als Urteilsverfahren eigenständiger Natur ist (näher § 945 Rn 4).
IV. Sonstige Sonderfälle.
Rn 13
Die Gehörsrüge des § 321a beseitigt partiell die Bindung nach § 318 bei nicht anfechtbaren Entscheidungen; denn andernfalls wäre das Gericht nicht in der Lage, die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Fortführung des Verfahrens zu heilen. Eine Gegenvorstellung vermag die Bindung hingegen nicht zu beseitigen (Dresd FamRZ 20, 37).
Beim VU gibt es wegen § 343 keine Bindung an das VU nach Einspruch. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die ein Rechtsmittel verwerfenden Urteile, wenn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
Gemäß § 16 I 1 KapMuG sind die Prozessgerichte, die das Verfahren zugunsten des Musterentscheids aussetzen, an die Entscheidung des Musterverfahrens gebunden. Diese Bindung beruht nicht auf § 318.
Bei einer Stufenklage gilt Rn 6.
Rn 14
Das Beschwerdegericht ist an seine Entscheidung über die Vergütung des Insolvenzverwalters entsprechend § 318 gebunden; es darf sie nicht aufgrund einer Gegenvorstellung nachträglich ändern (BGH ZIP 18, 2229 Rz 14).
V. Beschlüsse.
Rn 15
Für Beschlüsse gilt § 318 grds nicht. Daher kann das Gericht die Entscheidung abändern und korrigieren, solange das Verfahren in seiner Instanz anhängig ist, arg e § 572 I (BGH NJW-RR 06, 1554 [BGH 13.07.2006 - IX ZB 117/04] Rz 8 f mwN für Beschlüsse nach InsO); die Frage ist str (§ 329 Rn 16). Die Verneinung der Bindung beruht auf einem argumentativen Größenschluss: Was das Gericht gem § 572 I 1 nach Einlegung der sofortigen Beschwerde durch Abhilfe tun kann, soll es auch dann tun können, wenn (noch) kein Rechtsmittel eingelegt ist, und zwar sogar zum Nachteil des Rechtsmittelführers. Die Abhilfemöglichkeit entfällt in den Fällen des § 572 I 2 bei sofortigen Beschwerden gegen Zwischenurteile iSd § 387 III und Nebenentscheidungen im Endurteil; insoweit muss auch ohne Rechtsmitteleinlegung erst recht eine Bindung iSd § 318 eintreten. Zu beachten sind auch Sonderregelungen über die Abänderbarkeit von Beschlüssen (zB §§ 124, 620b I aF, § 54 FamFG). Bestimmte Beschlüsse sind für das erlassende Gericht bindend, zB Beschlüsse über die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde (BAG MDR 84, 83: § 5 KSchG). §§ 574 f sieht insoweit gerade kein Abhilfeverfahren vor. Beschlüsse, die kraft gesetzlicher Anordnung unanfechtbar (zB § 46 II Hs 1) oder formell rechtskräftig geworden sind und sachliche Entscheidungen enthalten, die materielle Rechtskraft entfalten können (§ 329 Rn 16), weisen idR auch innerprozessuale Bindungswirkung auf (BAG aaO; Zö/Vollkommer Rz 9 mwN), wobei man darüber streiten kann, ob diese Wirkung aus § 318 selbst oder aus dem Wesen der Rechtskraft/Unanfechtbarkeit folgt, was aber im Ergebnis keinen Unterschied macht. Das gilt zB für Beschlüsse über die Verwerfung der Berufung nach § 522 I (BGH NJW 91, 1116 f [BGH 12.12.1990 - VIII ZB 42/90]; München MDR 03, 522 [OLG München 12.02.2003 - 1 U 2733/02]), Verweisungsbeschlüsse nach §§ 281, 506, Kostenfestsetzungsbeschlüsse (Hamb...