Prof. Dr. Christoph Thole
I. Zulässiger Gegenstand des Antrags.
1. Allgemeines.
Rn 2
Der Antrag ist nur statthaft und zulässig, wenn er auf die Schließung einer Entscheidungslücke abzielt. Die Zulässigkeit des Antrags ist vAw zu prüfen. Diese Lücke kann einen Haupt-, einen Nebenanspruch oder den Kostenpunkt betreffen (Zö/Feskorn Rz 2). Der Antrag darf nicht nur die Korrektur einer inhaltlich falschen Entscheidung zum Ziel haben (BGH NJW 06, 1351 Rz 12; Ddorf BWNotZ 19, 36 Rz 38). Ein Anspruch oder der Kostenpunkt ist nur ›übergangen‹, wenn er versehentlich nicht beachtet worden ist, nicht dagegen, wenn er rechtsirrtümlich bzw bewusst nicht beschieden wurde (BGH MDR 53, 164, 165 [BGH 15.12.1952 - III ZR 102/52]; NJW 06, 1351 [BGH 16.12.2005 - V ZR 230/04] Rz 9; NJW 19, 1950 [BGH 05.03.2019 - VIII ZR 190/18] Rz 20; vgl a BGH NJW 14, 1304 [BGH 24.09.2013 - I ZR 133/12] Rz 18: Übergehen eines Nebenanspruchs). Ob die Entscheidung tatsächlich lückenhaft ist, stellt sich dann als Problem der Begründetheit des Antrags dar; insoweit gelten die allgemeinen Regeln im Hinblick auf Darlegungs- und Beweislasten (s.a. Rn 8). War die vermeintlich zu ergänzende Entscheidung tatsächlich nicht lückenhaft, so ist der vermeintlich übergangene Anspruch bereits beschieden und dessen Rechtshängigkeit durch Entscheidung weggefallen oder jedenfalls das Ausgangsgericht an einer erneuten Sachentscheidung durch § 318 gehindert.
Auch bei dem Übergehen unselbstständiger Teile der Entscheidung mit der Folge, dass das Urt ausnahmsweise sowohl unvollständig als auch inhaltlich falsch wird, kommt außer der Anfechtung mit einem Rechtsmittel auch eine Urteilsergänzung nach § 321 in Betracht, und zwar auch nach Ablauf jeweils einer der maßgeblichen Fristen (BGH NJW-RR 10, 19, 20 [BGH 30.09.2009 - VIII ZR 29/09], Rz 12 f; BGH NJW-RR 96, 1238 [BGH 25.06.1996 - VI ZR 300/95]), zB wenn der bei einem Vorbehaltsurteil anzubringende Vorbehalt fehlt oder Nebenentscheidungen fehlen (Verstoß zB gegen § 308 II), zB die Kostenentscheidung hinsichtlich der Nebenintervention (BGH WM 16, 2144; OLG Rostock NJW-RR 16, 381). Das insoweit mögliche Ergänzungsverfahren schließt aber nicht das Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel aus (Schlesw OLGR Schlesw 04, 534).
Unzulässig ist der Antrag, wenn er auf eine Korrektur in solchen Fällen gerichtet ist, in denen ein Gericht einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen oder den Anspruch einer Partei nicht beschieden hat, weil es ihr Klageziel falsch ausgelegt hat (BGH NJW 80, 840 [BGH 27.11.1979 - VI ZR 40/78]). Der Zulässigkeit eines auf Erweiterung im Kostenpunkt gerichteten Antrags steht aber nicht entgegen, dass keine festsetzungsfähigen Kosten angefallen sind. Fragen, die im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären sind, haben keinen Einfluss auf die Kostengrundentscheidung (BGH NJW 06, 1351 [BGH 16.12.2005 - V ZR 230/04] Rz 12).
2. Einzelheiten und Kasuistik.
Rn 3
Übergangene Ansprüche iSd Abs 1 betreffen nur ein bestimmtes Begehren der Partei, das zur Entscheidung durch Urt gestellt wird, oder einen Teil davon, nicht eine inhaltlich unrichtige Entscheidung (BGH NJW 02, 1500, 1501; ausf Stackmann NJW 05, 1537, 1538). Ansprüche idS können auch Hilfsanträge sein (BAG NJW 09, 1165), wenn es wegen des Eintritts der prozessualen Bedingung auf sie angekommen wäre; ebenso Widerklageanträge. Fehlen diese Anträge im Tatbestand, ist zunächst nach § 320 vorzugehen; dann beginnt die Frist des Abs 2 erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses (BAG aaO). Auch erfasst ist der Fall, dass das Gericht eine Partei bei der Entscheidung übergeht, dh bei mehreren Klägern über die Ansprüche eines Klägers nicht entscheidet (vgl BGH NJW 15, 952, 953 Rz 18 m Anm Kaiser). Stellt die insoweit übergangene Partei keinen fristgerechten Antrag auf Berichtigung, scheidet sie aus dem Rechtsstreit aus (hierzu Kaiser NJW 15, 954 [BGH 05.11.2014 - VIII ZR 257/13]). Nicht erfasst ist das Übergehen von rechtlichen oder tatsächlichen Vorbringen der Partei oder das Übersehen von Einwendungen einer Partei; dies macht das Urt inhaltlich falsch und kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen, sodass eine Anfechtung mit Rechtsmitteln bzw § 321a in Betracht kommen. Das Übersehen eines Zurückbehaltungsrechts (BGHZ 154, 1, 4 = NJW 03, 1463) oder des Erfüllungseinwands ist deshalb kein tauglicher Antragsgegenstand. Ob ausnahmsweise eine übergangene Aufrechnungsforderung wegen § 322 II einem übergangener Anspruch gleichzustellen ist (AG Paderborn MDR 00, 1272 [AG Paderborn 06.06.2000 - 57 C 558/99]; aA ausdr jetzt Zö/Feskorn Rz 4), ist str (abl wohl BGH NJW-RR 96, 379 [BGH 07.12.1995 - III ZR 141/93]) und zu verneinen, da die Rechtskraftwirkung nichts daran ändert, dass die Aufrechnung ein reiner Erfüllungseinwand ist. Wohl aber ist die Hinzufügung eines Vorbehalts der Rechte gem § 302 II möglich, was das Problem weitgehend vermindert. Zulässig ist auch ein auf Hinzufügung einer Vollstreckungsschutzanordnung oder einer Räumungsfrist (§§ 712, 721) gerichteter Antrag (BGH NJW 84, 1240) wie überhaupt die Ergänzung von Regelungen zur vorläufigen Voll...