Rn 43

Wesentlicher Aspekt der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung und deren Maßgeblichkeit für das Gericht und die Parteien ist, dass über den Streitgegenstand abschließend entschieden ist. Derselbe Streitgegenstand kann nicht erneut zur Entscheidung gestellt werden. Obwohl die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung grds nicht in Rechtskraft erwachsen, kann daher eine rechtskräftige Entscheidung über den Streitgegenstand nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, die Entscheidung stütze sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört daher auch die Präklusion von Tatsachen, sowohl was das klagebegründende Vorbringen des Kl angeht, als auch hinsichtlich der Einwendungen, Angriffs- und Verteidigungsmittel des Bekl. Außerhalb der Grenzen des Streitgegenstandes besteht keine Präklusion, auch nicht bei wirtschaftlich identischem Klageziel und sich überschneidenden Tatsachen (BGH NJW 17, 893 [BGH 07.07.2016 - I ZB 45/15] Rz 18; krit Magnus ZfPW 19, 283). Erstmalig geltend gemachte Ansprüche des Bekl aus demselben Sachverhalt sind folglich durch die rechtskräftige Entscheidung über die Ansprüche des Kl im Vorprozess nicht präkludiert, sofern hierüber nicht im Rahmen von Widerklage und Aufrechnung bereits entschieden ist (BGHZ 215, 157 = NJW 17, 3438 Rz 11). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Tatsachenpräklusion ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (BGHZ 83, 278, 280 = NJW 82, 1147, 1148). Dies folgt sinngemäß aus § 767 II (ausf zur Präklusionswirkung § 767 Rn 37 ff).

 

Rn 44

In einem weiteren Prozess können die Parteien keine Alttatsachen mehr geltend machen. Die Ausschlusswirkung der Rechtskraft geht dabei über die im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen hinaus und erfasst grds auch nicht vorgetragene Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsstreit entstanden sind (BGHZ 157, 47, 50 = NJW 04, 1252). Maßgeblich ist insoweit das gesamte einem Klageantrag zugrunde liegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise nach der Verkehrsauffassung zusammengehört. Ausgeschlossen sind mithin alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten (BGHZ 123, 137, 141 = NJW 93, 2685), unabhängig davon, ob die Parteien die Tatsachen des Lebensvorgangs kannten und hätten vortragen können (BGHZ 194, 314 Rz 19). So gehören bspw bei einem Zahlungsanspruch, der sich aus einer Saldierung verschiedener Posten ergibt, alle dabei zu berücksichtigenden Vorgänge wie zB An- und Verkäufe, Provisionen und Spesen zu dem Lebenssachverhalt (BGHZ 123, 137, 140 = NJW 93, 2684). Als Alttatsachen ausgeschlossen sind alle zum Lebenssachverhalt gehörenden Tatsachen, auf deren Existenz es für die Anwendung des den damaligen Klageantrag rechtfertigenden Rechtssatzes angekommen wäre. Dies gilt insb für solche Tatsachen, die nur eine Ergänzung des im Vorprozess vorgetragenen Tatsachenstoffs darstellen oder die damals als unschlüssig erkannte Klage erst schlüssig machen (BGHZ 117, 1, 2 = NJW 92, 1172).

 

Rn 45

Die zeitliche Grenze der Rechtskraft steht demgegenüber einer Klage, die auf nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung entstandene neue Tatsachen gestützt wird, nicht entgegen (BGH NJW 95, 2993 [BGH 14.07.1995 - V ZR 171/94]; NJW-RR 05, 1917). Tatsachen, die bei natürlicher Anschauung nicht zum Lebenssachverhalt gehörten und daher auch nicht angesprochen werden mussten, sind gleichfalls nicht als präkludiert anzusehen (BGHZ 117, 1, 6 = NJW 92, 1172). Eine auf nachträglich eingetretene und nicht vorhersehbare Spätschäden gerichtete Feststellungsklage in Anschluss an eine Leistungsklage ist daher möglich, soweit hierzu im Erstprozess nicht vorgetragen wurde, weil die Tatsachen auch sachkundigen Personen noch nicht bekannt waren (BGH NJW-RR 06, 712, 714 [BGH 14.02.2006 - VI ZR 322/04]).

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