Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
aa) Nichtbestehen der Klageforderung.
Rn 69
Das Gericht hat sich mit der Gegenforderung nur dann zu befassen, wenn diese entscheidungserheblich ist. Ist die Klage abzuweisen, weil die Klage unzulässig ist oder die Klageforderung nicht besteht, ergeht keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die nur hilfsweise geltend gemachte Gegenforderung. Eine gleichwohl gemachte Aussage zur Gegenforderung ist als reines obiter dictum unbeachtlich. Der Kl ist nur in Höhe der Klageforderung beschwert. Auch wenn der Bekl die Klageforderung unstr stellt und sich allein mit der Aufrechnung verteidigt, hat das Gericht – sofern kein ausdrückliches Anerkenntnis vorliegt – jedenfalls die Schlüssigkeit der Klageforderung zu prüfen, denn es darf nicht rechtskräftig über die Gegenforderung entscheiden, wenn die Hauptforderung schon aufgrund des Klägervortrags nicht besteht (Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 260). Das Gericht darf nach der heute allg anerkannten Beweiserhebungstheorie die Entscheidung über die Klageforderung nicht mit der Begründung offenlassen, dass diese jedenfalls infolge Aufrechnung erloschen sei (Zö/G.Vollkommer § 322 Rz 20; Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 84 gegen die frühere Klageabweisungstheorie). Teilweise wird bei einem Verstoß gegen den Beweiserhebungsgrundsatz das Urt in umfassender Hinsicht der materiellen Rechtskraft nicht fähig ist, dh, weder über den Bestand der Klage bis zur Höhe der zur Aufrechnung gestellten Forderung rechtskräftig entschieden noch die Gegenforderung aberkannt ist (Zö/G.Vollkommer § 322 Rz 21). Nach aA ist durch ein derartiges Urt zwar die eingeklagte Hauptforderung rechtskräftig aberkannt, nicht aber eine der Rechtkraft fähige Entscheidung über das Erlöschen der Gegenforderung getroffen (Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 84, St/J/Althammer § 322 Rz 156). Da die Rechtskraft des § 322 I auch fehlerhaft ergangene Urteile erfasst, ist letzterer Auffassung zuzustimmen, lediglich die Wirkung der Ausnahmeregelung des § 322 II tritt in solchen Fällen nicht ein.
bb) Begründetheit der Aufrechnung.
Rn 70
Besteht die Klageforderung und weist das Gericht die Klage aufgrund der zulässigen und begründeten Aufrechnung ab, so ist entsprechend § 322 II rechtskräftig festgestellt, dass die Klageforderung und die Gegenforderung in der Höhe der Klageforderung bestanden haben und dass beide Forderungen infolge der Aufrechnung erloschen sind. Beide Parteien sind jeweils in Höhe der Klageforderung beschwert (BGH NJW 02, 900). Legt nur der Kl Rechtsmittel ein, ist das Gericht gehindert, das Bestehen der Klageforderung anders zu bewerten als die Vorinstanz (BGHZ 109, 179, 188 = NJW 90, 447). Legt umgekehrt nur der Bekl Rechtsmittel ein, darf das Gericht nur das Bestehen der Klageforderung überprüfen, nicht aber die zuvor bejahte Gegenforderung verneinen (BGHZ 36, 316, 319 = NJW 62, 907). Ist die Gegenforderung höher als die Klageforderung, so wird der verbleibende Teil dem Bekl nicht rechtskräftig aberkannt, auch dann nicht, wenn die Gegenforderung in den Entscheidungsgründen insgesamt verneint wird (MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 205). Ist die Gegenforderung geringer als die Hauptforderung oder nur tw begründet, wird die Klage nur in der Höhe tw abgewiesen und damit rechtskräftig über die Gegenforderung entschieden, in der diese der Klageforderung begründet entgegensteht.