Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 50
Das Prozessrecht regelt die Abwehr evident unrichtiger Urteile abschließend. Fälle der Rechtskraftdurchbrechung sind in der ZPO enumerativ aufgezählt. Dabei zählt die materielle Unrichtigkeit des Titels für sich gesehen noch nicht zu den Restitutionsgründen des § 580, in denen der Gesetzgeber die Rechtskraft eines Titels nur im Falle eines evidenten Nachweises der Unrichtigkeit beseitigt wissen will. Die Anerkennung einer ohne die strengen Voraussetzungen des Restitutionsrechts gegebenen Möglichkeit der Rechtskraftdurchbrechung negiert diesen gesetzgeberischen Willen. In der Literatur ist daher die Möglichkeit einer Rechtskraftdurchbrechung mit der Klage nach § 826 BGB zu Recht scharf kritisiert worden, da sie die Vorschriften des Wiederaufnahmerechts unterläuft und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt (Münzberg NJW 86, 361; Prütting/Weth Rz 280 ff, 383; Gaul FS Henckel 95, 235, 265). In jüngerer Zeit nimmt aber die Zahl der Befürworter der höchstrichterlichen Rspr zu (Zö/G.Vollkommer Vor § 322 Rz 72; St/J/Althammer § 322 Rz 270 f). Ein Grund hierfür dürfte in den anerkannten Lücken des Wiederaufnahmerechts liegen, deren Schließung durch den Gesetzgeber nicht als Vorteil ggü der langjährigen richterlichen Rechtsfortbildung iRd Klage nach § 826 BGB gesehen wird (Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 233). Eine flexible Generalklausel wird auch im Prozessrecht für unentbehrlich gehalten, um evidentes Unrecht und Rechtsmissbrauch zu verhindern (MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 224). Bedenklicher erscheinen dagegen Begründungsversuche, welche die Autonomie des Prozessrechts ggü dem materiellen Recht verneinen (Hönn FS Lüke 97, 265). Trotz der fortbestehenden dogmatischen Bedenken gegen die Konstruktion des BGH, muss die Rspr zu § 826 BGB als gesicherte richterliche Rechtsfortbildung beachtet werden (Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 93). Um der Gefahr zu begegnen, dass die Klage nach § 826 BGB zu einem Einfallstor für eine uferlose Billigkeitsrechtsprechung wird, ist eine sachgerechte und maßvolle Anwendung dieses Rechtsinstituts auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle notwendig (Anders/Gehle/Gehle ZPO Vor § 322 Rz 23). Dem ist die Rspr bislang gerecht geworden, da sie nur sehr zurückhaltend von der Rechtskraftdurchbrechung über § 826 BGB Gebrauch gemacht hat (Zur Rechtskraftdurchbrechung bei Titulierung von Doppelleistungen s den Meinungsstand bei Foerste FS Werner 09, 426, 438 f; Vollkommer FS Stürner 13, 581, 6588 ff).