Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 60
Neben den für alle rechtskraftfähigen Entscheidungen geltenden Grundsätzen zu Umfang, Gegenstand und Grenzen der materiellen Rechtskraft sind bei verschiedenen Urteilsarten Besonderheiten hinsichtlich der Rechtskraftwirkung zu beachten.
I. Prozessurteil.
1. Klageabweisung als unzulässig.
Rn 61
Wird die Klage als unzulässig abgewiesen, so reicht die Rechtskraft dieser Entscheidung nur so weit, als eine Klage mit demselben Streitgegenstand, die an demselben prozessualen Mangel leidet, unzulässig ist (BGH NJW 85, 2535). Wird der konkrete Mangel behoben, kann eine Klage über denselben Streitgegenstand erhoben werden (BGHZ 143, 169, 172 = NJW 00, 590; NJW-RR 11, 1528). Deren Zulässigkeit ist aber erneut unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu prüfen, denn die abweisende Entscheidung stellt nicht zugleich fest, dass andere Zulässigkeitsmängel nicht existieren (Brandbg NJW-RR 00, 1735, 1736). Auch die Rechtskraft des ein Rechtsmittel oder den Einspruch verwerfenden Urteils beschränkt sich auf die konkret entscheidungserhebliche Prozessfrage (BGH NJW 91, 1116 [BGH 12.12.1990 - VIII ZB 42/90]).
2. Klageabweisung als unbegründet.
Rn 62
Die Bejahung der Zulässigkeit entfaltet keine Rechtskraftwirkung, wenn eine Klage in der Sache abgewiesen wird. Der Richter ist in einem zweiten Prozess über denselben Streitgegenstand nach Behebung des materiell-rechtlichen Hindernisses, etwa der fehlenden Fälligkeit des Anspruchs nicht an die Beurteilung der Zulässigkeit des Erstrichters gebunden. Er hat die Prozessvoraussetzungen erneut zu prüfen und kann dabei ggf zu einem abweichenden Ergebnis kommen (MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 176; Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 45; Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 157; aA St/J/Althammer § 322 Rz 134). Wird die Klage als zZt unbegründet abgewiesen, etwa aufgrund fehlender Fälligkeit, erwächst die Feststellung in Rechtskraft, dass der Kl bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess keinen fälligen Anspruch gegen den Bekl hatte. Die Fälligkeit kann im Folgeprozess nur aufgrund nach diesem Zeitpunkt entstandener Tatsachen angenommen werden (BGH NJW 14, 1306, Frankf NJW 17, 2773 Rz 25; BGHZ 234, 102 = NJW 22, 2754 Rz 22). Der III. Senat des BGH bejaht eine Bindung des Zweitgerichts für den Fall der Abweisung eines Amtshaftungsanspruchs aufgrund Subsidiarität, der die Bejahung aller übrigen Anspruchsvoraussetzungen voraussetzt (BGHZ 234, 102 = NJW 22, 2756 Rz 24). Für diesen Sonderfall, bei dem die anderweitige Ersatzmöglichkeit einen Teil des Tatbestands bildet, erscheint das iE zutreffend, nicht aber als generelle Begrenzung, die es dem Zweitgericht untersagen würde, weitere Anspruchsvoraussetzungen zu verneinen oder neue Einwendungen des Beklagten zu berücksichtigen (vgl hierzu auch MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 156). Umstritten ist, ob bei einer Klageabweisung als zz unbegründet darüber hinaus auch generell ›positive‹ Rechtskraftwirkungen hinsichtlich der bereits bejahten Tatbestandsvoraussetzungen bestehen. Dies bejaht der V. Senat für den Fall, dass einer Klage wegen des fehlenden Eintritts von aufschiebenden Bedingungen als zz unbegründet abgewiesen worden ist (BGH NJW-RR 23, 632). Gestützt wird eine solche positive Rechtskraftwirkung hinsichtlich der übrigen Anspruchsvoraussetzungen auf den Prüfungsumfang des Gerichts. Da die Klage nur dann als zz unbegründet abgewiesen werden dürfe, wenn eine vollständige Klageabweisung nicht möglich sei, bedürfe es deren Bejahung. Nur wenn eine Prüfung dem Grunde nach nicht erfolgt und die Klage als jedenfalls zz unbegründet abgewiesen wird, bestehe eine derartige Rechtskraftwirkung nicht (BGH NJW-RR 23, 632 [BGH 09.12.2022 - V ZR 72/21] Rz 12 ff). Dafür sprechen va prozessökonomische Gründe, da eine erneute Prüfung von Voraussetzungen mit einem ggf widersprüchlichen Ergebnis vermieden wird (Arz NJW 23, 1847). Für den Umfang der Bindungswirkung ist aber auch bei einer Abweisung als zZt unbegründet grds auf die Urteilsformel abzustellen. Die Entscheidung beruht auf dem Abweisungsgrund als solchem. Welche anderen Merkmale bejaht wurden, ergibt sich nur aus den Entscheidungsgründen, die zwar zur Bestimmung des objektiven Umfangs der Rechtskraft herangezogen werden können (BGH NJW 93, 333, 334 [BGH 23.09.1992 - I ZR 224/90]), aber selbst nicht in Rechtskraft erwachsen. Das Zweitgericht muss daher frei sein, die eine Klageabweisung nicht tragenden Gründe abweichend zu beurteilen (ebenso Kim LMK 23, 806151; Elzer FD-ZVR 23, 4561114).
II. Leistungsurteil.
Rn 63
Ein streitiges Urteil, durch das eine Leistungsklage abgewiesen wird, stellt fest, dass die begehrte Rechtsfolge aus dem Lebenssachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden kann. Dies gilt auch, wenn das erkennende Gericht nicht alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen geprüft hat (BGH NJW 00, 3492, 3493 [BGH 18.07.2000 - X ZR 62/98]). Dagegen konstatiert ein stattgebendes Urt, dass die Leistungspflicht besteht. Der Grund der Leistungspflicht erwächst regelmäßig nicht in Rechtskraft (dazu Rn 31). Dies gilt nicht nur, wenn die Klage auf ein positives Tun, sonde...