Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
1. Formelle Rechtskraft.
Rn 9
Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft treten nur dann ein, wenn die Entscheidung formell rechtskräftig geworden ist (BGH NJW 04, 294, 295 [BGH 24.09.2003 - XII ZR 70/02]) und es sich um eine der Rechtskraft fähige Entscheidung handelt.
2. Rechtskraftfähigkeit.
a) Urteile.
Rn 10
Der Rechtskraft fähig sind die von deutschen Gerichten (zu ausländischen Entscheidungen vgl § 328 Rn 1 ff) erlassenen Endurteile bzw Teilurteile in Form von Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsurteilen. Gleichgültig ist, ob diese aufgrund streitiger oder nichtstreitiger Verhandlung ergehen wie Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumnisurteile, ob es sich um stattgebende oder klageabweisende Sach- oder Prozessurteile handelt (Brandbg NJW-RR 00, 1735). Zwischenurteile entfalten nur ausnahmsweise materielle Rechtskraft, soweit sie im Verhältnis zu Dritten eine Frage endgültig entscheiden (§ 303 Rn 1). Urteile in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren sind nach bestrittener Ansicht trotz der nur summarischen Prüfung der materiellen Rechtskraft fähig, die allerdings bei stattgebenden Entscheidungen durch den Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit durch das Gericht nach § 927 eingeschränkt ist (BGHZ 161, 298, 304 = NJW 05, 436, 437; OLGR Hambg 05, 215; BAG NZA 13, 437, 447; Zö/G.Vollkommer Vor § 916 Rz 13; umf dazu Stürner ZZP 125 (2012), 3, 14 ff; aA Frankf FamRZ 82, 1223; Bongen/Renaud NJW 91, 2886, 2887 [OLG Schleswig 09.07.1990 - 15 UF 47/89]; Busemann ZTR 14, 447). Ein Ausspruch des Strafgerichts zum Adhäsionsantrag erwächst nur in Rechtskraft, soweit diesem stattgegeben wird (BGH NStZ-RR 19, 320), die ablehnende Entscheidung entfaltet keine materielle Rechtskraft. Der Verletzte kann zwischen der erneuten strafrichterlichen Überprüfung im Rechtsmittelwege oder einem nachfolgenden Zivilverfahren wählen (BGH NStZ-RR 19, 320 [BGH 30.07.2019 - 4 StR 245/19]). Nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind Vorbehaltsurteile, Zwischenurteile unter den Parteien, Grundurteile (vgl BGH NJW 19, 1527 [BGH 21.02.2019 - VII ZR 105/18] Rz 45) sowie Urteile, die eine Entscheidung der Vorinstanz aufheben oder zurückverweisen (dazu Voit NJW 17, 203, 204). Bei Letzteren tritt jedoch eine Bindungswirkung nach § 536 II ein.
b) Gleichgestellte Titel.
Rn 11
Materielle Rechtskraft kommt auch den Entscheidungen zu, die einem rechtskräftigen Urt gleichgestellt sind, wie der Schiedsspruch (§ 1055; hierzu Pika ZZP 131 [2018], 225 ff); BGH NJW-RR 09, 790 [BGH 13.01.2009 - XI ZR 66/08]; NJW-RR 19, 762 [BGH 11.10.2018 - I ZB 9/18]) und die Eintragung in die Insolvenztabelle (§ 178 III InsO; BGH NZI 12, 323; NJW-RR 13, 757). Nach hM kommt auch dem Vollstreckungsbescheid volle materielle Rechtskraft zu (BGHZ 101, 380, 382 = NJW 87, 3256; 111, 54, 58 = NJW 91, 30).
c) Beschlüsse.
Rn 12
Zu den Beschlüssen, welche eine der Rechtskraft fähige sachliche Entscheidung enthalten, gehören die Entscheidung über die Richterablehnung (BGHZ 95, 302, 305 = NJW 86, 2702), der Beschl nach § 91a bzgl der Entscheidung über die Kostenlast (BGH GRUR 92, 203, 205; Smid ZZP 97 (1984), 281), Kostenfestsetzungsbeschlüsse nach §§ 103, 104 (BGHZ 111, 168, 170 = NJW 90, 2060); Streitwertfestsetzungsbeschlüsse (Nürnbg OLGR München 99, 360); Beschlüsse nach § 11 RVG (BGH NJW 97, 743 [BGH 05.12.1996 - IX ZR 67/96] noch zu § 319 BRAGO) sowie nach §§ 154, 156 KostO (Ddorf NJW-RR 96, 1406 [OLG Düsseldorf 18.06.1996 - 10 W 54/96]). Weiterhin enthalten die ein Rechtsmittel verwerfenden Beschlüsse nach §§ 522 I, 552 I (BGH NJW 81, 1962 [BGH 07.05.1981 - VII ZR 366/80]; NJW 91, 1116, 1117 [BGH 12.12.1990 - VIII ZB 42/90]) ebenso eine der Rechtskraft fähige Entscheidung wie der die Wiedereinsetzung oder die Nichtzulassungsbeschwerde ablehnende Beschl (BGH NJW 04, 1531 [BGH 19.01.2004 - II ZR 108/02]). Der materiellen Rechtskraft fähig sind zahlreiche Beschlüsse in der Zwangsvollstreckung etwa Entscheidungen (nach Gewährung rechtlichen Gehörs) nach § 766 (Peters ZZP 90 [1987], 145, 154), der Zuschlag (RGZ 138, 127) sowie Beschlüsse nach den § 887 (BGH NJW 95, 3189, 3190 [BGH 22.06.1995 - IX ZR 100/94]), § 888 (BGH NJW 18, 235 [BGH 13.07.2017 - I ZR 64/16] Rz 13), § 890 und nach §§ 807, 900 IV (LG Kassel, Rpfleger 91, 118). Für Beschlüsse im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren gilt die materielle Rechtskraft nur eingeschränkt (vgl Rz 10). In materielle Rechtskraft erwachsen schließlich auch Entscheidungen nach §§ 23 ff EGGVG (BGH NJW 94, 1950, 1951 [BGH 17.03.1994 - III ZR 15/93]); die Entscheidung über die Eröffnung (BGH NJW-RR 86, 412, 414) und die Ablehnung der Insolvenzeröffnung (BGH KTS 03, 149 [BGH 05.08.2002 - IX ZB 51/02]) sowie Entscheidungen über den Versorgungsausgleich (BGH NJW-RR 96, 642, 643). Nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind Beschlüsse, durch die Prozesskostenhilfe versagt wird (BGH NJW 04, 1805, 1806) sowie Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse (Köln FamRZ 94, 1272, 1273).
d) Prozessvergleich.
Rn 13
Keine materielle Rechtskraftwirkung kommt dem Prozessvergleich zu (BGHZ 86, 186 = NJW 83, 996; NJW-RR 86, 22).