Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
1. Prüfungsumfang.
Rn 53
Bei der Entscheidung nach § 323 hat das Gericht im Wege einer Korrektur der ursprünglichen Prognose die künftige Entwicklung der Verhältnisse vorausschauend zu berücksichtigen. Umstritten war dabei in der Rspr und Literatur zu § 323 aF, ob das Gericht hierbei den Anspruch entsprechend der tatsächlichen materiellen Rechtslage frei neu festsetzen kann, oder ob nur eine den zwischenzeitlich eingetretenen Verhältnissen entsprechende Anpassung an die veränderten Umstände erfolgen darf. Die hM beschränkte den Richter auf die Prüfung, inwieweit aufgrund der zu berücksichtigenden neuen Tatsachen eine Abänderung des Urteils als notwendig erscheint. Hinsichtlich der sonstigen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die nicht von der Änderung der Verhältnisse betroffen sind, besteht hingegen eine Bindung an das Ersturteil (BGH NJW 79, 1656, 1657; NJW-RR 90, 194 [BGH 15.11.1989 - IVb ZR 95/88]; NJW 01, 937; Zö/G.Vollkommer § 323 Rz 47). In der Literatur wurde diese Beschränkung seit längerem zT heftig kritisiert und eine freie Annexkorrektur gefordert, da die Bindung an das Ersturteil dazu zwingt, erkannte Fehler dieser Entscheidung in das abgeänderte Urt zu übernehmen (MüKoZPO/Gottwald § 323 Rz 77 f; Graba NJW 88, 2343, 2349 f). Mit der Neufassung des § 323 IV, der vorsieht, dass die Entscheidung unter Wahrung ihrer Grundlagen anzupassen ist, hat der Gesetzgeber den Gesichtspunkt der Bindungswirkung betont (BTDrs 16/6308) und damit den Forderungen nach einer Annexkorrektur eine klare Absage erteilt.
2. Konsequenz und Kritik.
Rn 54
In der Praxis begegnet die Rspr der Problematik als fehlerhaft erkannter Erstentscheidungen in der Weise, dass aus Billigkeitsgründen im Einzelfall Ausnahmen von der Bindung anerkannt werden, bspw für den Fall, dass der im Vorprozess obsiegende und damit nicht beschwerte Kl weniger beantragt hat, als ihm zugestanden hätte (BGH NJW 95, 534, 535). Auch wenn sich die Bemessungsgrundlagen der damaligen Entscheidung, zB bei einem Anerkenntnisurteil, nicht mehr klären lassen (BGH FamRZ 07, 1459, 1460; Hamm FamRZ 94, 763) oder wenn der Richter im Vorprozess die für die Bemessung maßgeblichen ehelichen Lebensverhältnisse nicht festgestellt hat (BGH FamRZ 87, 257), verneint die Rspr eine Bindung an die Berechnung im Ersturteil. Schließlich wird eine Neufestsetzung ohne Bindung an das Ersturteil auch dann zugelassen, wenn die Nichtberücksichtigung bestimmter Umstände zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (BGH NJW 83, 1118, 1119 [BGH 08.12.1982 - IVb ZR 338/81]). Die Vielfalt der Kriterien für die Anerkennung eines Ausnahmefalles und die Anzahl der hier nur beispielhaft angeführten Fälle, zeigen deutlich die Schwäche der an Treu und Glauben orientierten Lösung der hM. Mit der Anerkennung einer freien Nachprüfbarkeit könnten demgegenüber generell zutreffende Ergebnisse erzielt werden. Eine Bindung an eine als falsch erkannte frühere Bewertung oder Feststellung führt dazu, dass auch dem Abänderungsurteil erneut der Makel der Unrichtigkeit anhaftet. Wird mit der Klage nach § 323 die Änderung einer Entscheidung verlangt, kommt der Rechtskraft die Funktion der Wahrung des Rechtsfriedens nicht mehr zu, so dass ein nur teilweises Festhalten an der Rechtskraft dieser Entscheidung wenig sinnvoll erscheint, zumal an tatsächliche Feststellungen einer vorgreiflichen Entscheidung nach allg Grundsätzen keine Bindung besteht.
Rn 55
Ist die Abänderungsklage zulässig und begründet, so hat das Gericht die Vorentscheidung ab dem Änderungszeitpunkt aufzuheben und unter Abänderung der Vorentscheidung die Zahlungspflicht neu festzusetzen (Hambg FamRZ 82, 321). Soweit das bisherige Urt aufrechterhalten bleibt, kann aus ihm weiter in etwaige Rückstände vollstreckt werden (St/J/Althammer § 323 Rz 98). Das Urt ist sowohl bei Erhöhung als auch bei Herabsetzung der Leistungspflicht nach § 708 Nr 8 für vorläufig vollstreckbar zu erklären, nur im ersten Fall ist § 711 anzuwenden (MüKoZPO/Gottwald § 323 Rz 97; Musielak/Voit/Borth § 323 Rz 29; aA Scheffler FamRZ 86, 532, 533). Über entgegen gesetzte Abänderungsklagen auf Erhöhung bzw Herabsetzung des titulierten Betrages darf nur einheitlich und nicht durch Teilurteil entschieden werden (BGH NJW 87, 441 [BGH 29.10.1986 - IVb ZR 88/85], NJW 99, 1718, 1719 [BGH 24.02.1999 - XII ZR 155/97]).