Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
1. Kriterien.
Rn 13
Bei Prozessvergleichen und vollstreckbaren Urkunden kann eine Anpassung verlangt werden, wenn sich die nach dem beiderseitigen Parteiwillen maßgebenden Verhältnisse erheblich geändert haben (BGH NJW 04, 3106, 3107; Köln FamRZ 05, 1755). Dabei können die Vertragspartner die Kriterien der Abänderbarkeit autonom bestimmen (BTDrs 16/6308, 258). Teilweise wird für die Wesentlichkeit der Änderung auch hier von einer 10 %igen Schwelle als Richtwert ausgegangen, die im Einzelfall, insb bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen aber auch niedriger anzusetzen sein kann (BGH NJW 86, 2054, 2055; Stuttg FamRZ 00, 377; Wieczorek/Schütze/Büscher § 323 Rz 116). Nach aA soll diese Grenze hier nicht eingreifen, sondern allein auf materiell-rechtliche Kriterien abzustellen sein (R/S/G § 158 Rz 37; Zö/G.Vollkommer § 323 Rz 48). Dieser Ansicht folgt auch der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zur Neuregelung des § 323a, wonach die Abänderbarkeit keiner Wesentlichkeitsgrenze unterliegt (BTDrs 16/6308, 258). Der BGH hat in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass sich die Abänderung des Prozessvergleichs nach neuem Recht allein nach materiell-rechtlichen Kriterien richtet und vorrangig gegenüber einer Störung der Geschäftsgrundlage durch Auslegung zu ermitteln ist, ob und mit welchem Inhalt die Parteien eine bindende Regelung hinsichtlich einer möglichen Herabsetzung bzw. Befristung getroffen haben (BGHZ 186, 1 = NJW 10, 2349; NJW 12, 309; NJW 12, 1209, 1210; NJW 12, 2028). Sofern als Ergebnis der Auslegung feststeht, dass die Parteien eine spätere Änderung des Unterhalts ausschließen wollten, bedarf es dann jedoch grds der Prüfung, ob nach Treu und Glauben ein Festhalten am Vertrag der hierdurch betroffenen Partei nicht zuzumuten ist, mithin eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt (BGHZ 148, 368, 377 = NJW 01, 3618; NJW 04, 3106, NJW 12, 1209, 1211; NJW 12, 2028). Eine Neufestsetzung anstelle einer Anpassung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich die Berechnung im Vergleich nicht mehr nachvollziehen und der damalige Parteiwille nicht ermitteln lässt (BGH NJW 01, 2259, 2261 [BGH 03.05.2001 - XII ZR 62/99]).
2. Zeitpunkt.
Rn 14
Auch die zeitliche Grenze für die Abänderung richtet sich nach materiellem Recht. Prozessvergleiche (BGHZ 85, 64 = NJW 83, 228; NJW 92, 364; NJW 09, 1742, 1743; NJW 11, 3645; NJW 12, 1356, 1358 mwN) und vollstreckbare Urkunden (BGH FamRZ 84, 997; Nürnbg FamRZ 04, 212) über künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen können daher grds auf eine Klage nach § 323a auch rückwirkend abgeändert werden. Dies gilt auch dann, wenn bereits eine vorangegangene Abänderungsklage gegen den Prozessvergleich als unbegründet abgewiesen wurde, denn in diesem Fall tritt das Urt nicht an die Stelle des Vergleichs. Rechtskräftig entschieden ist allein über die Frage, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über die erste Abänderungsklage keine eine Abänderung rechtfertigenden Tatsachen vorlagen. Daraus wird überwiegend hergeleitet, dass eine erneute Abänderungsklage nur auf neue, nach Schluss der mündlichen Verhandlung im vorangegangenen Abänderungsprozess eingetretene Tatsachen gestützt werden kann (Zö/G.Vollkommer § 323 Rz 44, 46; Kobl NJW-RR 99, 1680; offengelassen in BGH, NJW 95, 536). Jedenfalls für diesen Fall wird eine rückwirkende Abänderbarkeit für zulässig erachtet (Karlsr FamRZ 05, 816; BGH NJW 09, 1742 f; krit zur darin liegenden Heranziehung der für Urteile geltenden Präklusionsregelung des § 323 II Graba NJW 09, 2411, 2412; BGH NJW 11, 3645). Eine erneute Abänderungsklage ist auch zulässig, wenn der Gegner eines früheren Abänderungsprozesses auf Erhöhung des Unterhalts versäumt hat, die bereits bestehenden, für eine Herabsetzung sprechenden Gründe geltend zu machen. Er ist nicht gezwungen, dies bereits im vorausgegangenen Verfahren im Wege der Abänderungswiderklage geltend zu machen (so für das Urt noch BGHZ 136, 374 = NJW 98, 161; aufgegeben durch BGHZ 218, 213 = NJW 18, 1753 Rz 17). Eine rückwirkende Abänderung des Prozessvergleichs ist hingegen nicht zulässig, wenn über die Abänderung eines Vergleichs bereits durch Urt positiv entschieden worden ist. In diesem Fall greifen § 323 II und III ein (Hamm FamRZ 80, 1127; BGH NJW 13, 2358 Rz 16). In der praktischen Konsequenz ist der Unterschied zur Abänderung von Urteilen letztlich gering, da regelmäßig auch für die Frage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur Veränderungen zu berücksichtigen sind, die nicht bereits bei Vergleichsabschluss oder Urkundserstellung bekannt waren (Köln FamRZ 00, 905, 906).
3. Jugendamtsurkunden.
Rn 15
Auf eine Jugendamtsurkunde, die auf einer Vereinbarung der Parteien beruht, sind wegen der Ähnlichkeit mit einer gerichtlichen oder notariellen Vereinbarung die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzuwenden (BGH NJW 03, 304, 306). Die vollstreckbare Urkunde ist rückwirkend ab dem Zeitpunkt abänderbar, ab welchem die materiellen Grundlagen nicht mehr bestehen (Nürnbg FamRZ 04, 212). Handelt es sich hingegen um eine Urkund...