I. Die Voraussetzungen des Versäumnisurteils gegen den Beklagten.
1. Allgemeine Voraussetzungen einer Sachentscheidung auf Grund Säumnis.
Rn 27
Ein Versäumnisurteil darf im schriftlichen Vorverfahren ergehen, wenn die Vorschriften über das Versäumnisverfahren anwendbar sind (s Rn 2), die allg Voraussetzungen für ein Sachurteil vorliegen (s Rn 3), keine Zurückweisungsgründe nach § 335 I Nr 1, 3 und 4 dessen Erlass entgegenstehen (s Rn 8) und die Klage bei Anwendung der Geständnisfiktion (s Rn 13–15) schlüssig ist (s Rn 9, 10).
2. Besondere Verfahrensvoraussetzungen.
a) Richterliche Anordnungen und Belehrungen.
Rn 28
Der vom Gesetzgeber verfolgte Normzweck, Rechtsstreitigkeiten in einem schriftlichen Vorverfahren prozessökonomisch durch Versäumnisurteil erledigen zu können (s Rn 1), erfordert die Einhaltung besonderer Förmlichkeiten. Diese stellen in gewissem Umfange sicher, dass die Passivität des Bekl im schriftlichen Vorverfahren den Schluss zulässt, dass die Sache nicht streitig ist, der Bekl zumindest nicht streitig verhandeln will. Hierzu müssen die in § 276 I, II bestimmten Anforderungen eingehalten werden, bei deren Fehlen nach § 335 I Nr 4 kein Versäumnisurteil ergehen darf (s § 335 Rn 11).
b) Unterlassungen des Beklagten.
Rn 29
Der Bekl muss gegen die Obliegenheit, seinen Verteidigungswillen innerhalb einer ihm nach § 276 I 1, 3 gesetzten Frist anzuzeigen, verstoßen haben. Das begründet die ges Vermutung, dass die Sache unstr bleibt und durch Versäumnisurteil entschieden werden kann. Die fristgemäß beim Gericht eingegangene Anzeige schließt den Erlass des Versäumnisurteils in jedem Falle aus (BTDrs 7/2729, 80). Auf die Kenntnis der zuständigen Richter kommt es nicht an (Musielak/Voit/Stadler Rz 20). Die verspätete Anzeige widerlegt ebenfalls die ges Vermutung, so dass kein Versäumnisurteil mehr ergehen darf, wenn es noch nicht erlassen worden ist. Auch hier kommt es auf den Eingang bei Gericht, nicht in der Geschäftsstelle des zuständigen Spruchkörpers an (sehr str – wie hier: Ddorf JR 97, 161, 162 [OLG Düsseldorf 18.06.1996 - 10 W 53/96]; Frankf MDR 00, 902 [OLG Nürnberg 14.04.2000 - 13 W 3985/99]; aA KG MDR 89, 1003 [KG Berlin 04.08.1989 - 24 W 4762/89]). Organisatorische Mängel bei der Postbeförderung innerhalb der Gerichte dürfen sich aber nicht zu Lasten der Partei auswirken.
Rn 30
Für den Inhalt der Verteidigungsanzeige gelten keine besonderen Anforderungen. Es muss in irgendeiner Weise zum Ausdruck kommen, dass der Bekl sich gegen die Klage zur Wehr setzen will, wofür bereits die Vertretungsanzeige eines Anwalts genügt (BTDrs 7/2729, 80). Die Erklärung unterliegt im Anwaltsprozess dem Anwaltszwang (§ 276 II 1 iVm § 78 I 1). Seit dem 1.1.22 muss insoweit die Form des § 130d S 1 (elektronisches Dokument) eingehalten werden. Eine per Telefaxschreiben eingereichte Verteidigungsanzeige kann deshalb ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren nicht (mehr) verhindern, es sei denn (§ 130d S 2), die Einreichung auf dem Weg des § 130a ist aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich. Dies ist nach § 130d S 3 bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (vgl LG Frankfurt aM MDR 22, 393 [LG Frankfurt am Main 19.01.2022 - 2-13 O 60/21]). Im Parteiprozess muss die Verteidigungsanzeige durch die Partei selbst oder einen Bevollmächtigten erfolgen. Die Anzeige eines Dritten ist unwirksam (vgl LG Düsseldorf JurBüro 88, 1563); die Anzeige eines nach § 79 II nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigen dagegen nach § 79 III 2 wirksam, wenn sie – wie idR – vor einem Zurückweisungsbeschluss nach § 79 III 1 erfolgt.
Rn 31
Der Verteidigungsanzeige steht ein Prozesskostenhilfegesuch des Bekl gleich. Der von der Partei im Anwaltsprozess eingereichte Antrag hindert zwar nicht die Versäumung der ›Notfrist‹ nach § 276 I 1; die Lösung dieser Fälle liegt hier aber nicht in der Wiedereinsetzung (so aber BTDrs 7/2729, 70), die nur die versäumte Frist, jedoch nicht ein als Sachurteil ergangenes Versäumnisurteil wieder beseitigen könnte (KG NJW-RR 97, 56 mwN), sondern in der Annahme unverschuldeter Fristversäumung analog § 337 S 1 (vgl Brandbg NJW-RR 02, 285, 286 [OLG Brandenburg 27.02.2001 - 11 W 15/01]; Bergerfurth JZ 78, 298, 299; Hartmann NJW 78, 1457, 1460; Kramer ZZP 91, 77, 77).
Rn 32
Der Widerspruch gegen einen Mahnbescheid (§ 694) ersetzt dagegen seit dem Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.90 (BGBl I 2847) die Verteidigungsanzeige nicht mehr, wenn nach Eingang der Anspruchsbegründung das schriftliche Vorverfahren angeordnet wird (§ 697 II 2), worauf der Bekl hinzuweisen ist (Hansens NJW 91, 983, 986 [BGH 24.01.1991 - IX ZR 250/89]; Holch NJW 91, 3177, 3178).
Rn 33
Der Erlass eines Versäumnisurteils ist – erst recht – zulässig, wenn der Bekl erklärt, dass er der Klage nicht entgegentreten will (BTDrs 7/2729, 80). Dasselbe gilt nach dem Zweck des Gesetzes (Rn 1), wenn der Bekl seine Verteidigungsanzeige zurücknimmt oder widerruft (vgl Stoffel/Strauch NJW 97, 2372 [BVerwG 26.06.1997 - BVerwG 7 C 11/96]; Fischer NJW 04, 909, 910; St/J/Leipold § 276 Rz 31; Wieczorek/Schütze/Büscher Rz 63; aA MüKoZPO/Prütting Rz 43).
c) Antrag auf Versäumnisurteil durch den Kläger.
Rn 34
Auch das Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren setzt einen (schriftlichen) Antrag des Kl voraus, dass bei ...