Rn 7
Der originäre Einzelrichter (Rn 2) muss die Sache in den in Abs 3 S 1 bestimmten Fällen der Kammer zur Übernahme vorlegen. Das gilt insb dann, wenn der Einzelrichter die Sache gem Art 100 I GG dem BVerfG (BVerfG Beschl v 15.11.10 – 1 BvL 12/10. juris Rz 6 f) oder gem Art 267 II AEUV dem EuGH vorlegen möchte (BGH Beschl v 31.3.20 – XI ZR 198/19 = WM 20, 838 Rz 15; Stuttg Beschl v 1.7.20 – 16a W 3/20, juris Rz 49 ff; aA allein LG Ravensburg Vorlagebeschl v 31.3.21 – 2 O 339/19; durch EuGH Urt v 21.3.23 – C-100/21 = ECLI:EU:C:2023:229 = NJW 23, 1111 Rz 48 ff mangels Entscheidungserheblichkeit als unzulässig zurückgewiesen). Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien hat der Einzelrichter das Verfahren der Kammer zur Prüfung einer Übernahme vorzulegen (Abs 3 S 1 Nr 3). Die Kammer ist zu einer Übernahme des Verfahrens jedoch nur verpflichtet (und zugleich berechtigt), wenn die Voraussetzungen des 348 Abs 3 S 1 Nr 1 oder 2 zu bejahen sind. Die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen unterliegen als Ausdruck des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht der Parteidisposition (ebenso BeckOK ZPO/Fischer § 348 Rz 47; MüKoZPO/Stackmann § 348 Rz 23; aA wohl Anders/Gehle/Göertz ZPO § 348 Rz 50 f). Legt der Einzelrichter trotz eines solchen Antrags die Sache nicht der Kammer zur Übernahme vor und sind die Voraussetzungen des Abs 3 S 1 Nr 1 und 2 gegeben, dürfte dies ein willkürlicher Entzug des gesetzlichen Richters sein, der entgegen der Regel des Abs 4 bereits im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten gerügt werden kann (vgl Stackmann JuS 08, 129; nunmehr auch Ddorf FamRZ 12, 475; ausf Rn 10). Die Kammer entscheidet über die Übernahme durch Beschl. Dieser ist unanfechtbar und kann auch mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung nicht angegriffen werden (Abs 4). Eine Übernahme ohne entspr Beschl ist ein unheilbarer Verfahrensmangel und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (Celle Beschl v 27.9.02 – 6 W 118/02 = MDR 03, 523 f [OLG Karlsruhe 25.10.2002 - 2 UF 98/02]; Kobl Beschl v 4.6.10 – 5 U 1317/09 = MDR 11, 1257, 1258).
Rn 8
Die Kammer muss die ihr vom Einzelrichter vorgelegte Sache übernehmen, wenn die Voraussetzungen des Abs 3 S 1 Nr 1 oder 2 erfüllt sind. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art sind gegeben, wenn der Sachverhalt eine erheblich überdurchschnittliche Komplexität aufweist, die sich etwa darin zeigen kann, dass eine Beweisaufnahme durchgeführt werden muss, die zur Würdigung widerstreitender Sachverständigengutachten führt. Zu berücksichtigen sind – im Hinblick auf das gesetzliche Leitbild einer grundsätzlichen Einzelrichterzuständigkeit – auch die Rechtskenntnisse und der Erfahrungsstand des Einzelrichters (s BTDrs 13/6398, 28; zust auch Stackmann JuS 08, 129, 130). Im Arzthaftungsprozess wird häufig von besonderen Schwierigkeiten auszugehen sein (vgl Karlsr NJW-RR 06, 205 [OLG Karlsruhe 24.06.2005 - 7 W 28/05]; aber nicht stets, s BGH NJW 13, 2601 [BGH 14.05.2013 - VI ZR 325/11] Rz 14). Besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art weist ein Verfahren insb dann auf, wenn die Entscheidung des Falles in größerem Umfang eine Behandlung entlegener und spezieller Rechtsmaterien oder des ausländischen Rechts erfordert (vgl Musielak/Voit/Wittschier§ 348 Rz 8; Anders/Gehle/Göertz ZPO § 348 Rz 46). Das Tatbestandsmerkmal der grds Bedeutung in § 348 III 1 Nr 2 ist im weiten Sinne zu verstehen und umfasst neben der grds Bedeutung im engeren Sinne (§§ 511 IV 1 Nr 1 Alt 1, 543 II 1 Nr 1) auch die rechtsmittelrechtlichen Fälle der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rspr (vgl bereits BGH Beschl v 13.3.03 – IX ZB 134/02 = BGHZ 154, 200, 202 ff; Beschl v 24.11.11 – VII ZB 33/11 = NJW-RR 12, 441 Rz 8 f mwN; zur Definition dieser Merkmale s.u. § 511 Rn 46 ff).