Rn 9
Die gerichtliche (Zwischen-)Entscheidung zugunsten einer Übernahme des Verfahrens wie auch deren Ablehnung ist gem § 348 IV grds weder isoliert anfechtbar noch in der Rechtsmittelinstanz überprüfbar. Gleiches gilt für die Vorlageentscheidung des Einzelrichters bzw deren Ablehnung. Der Gesetzgeber hat in dieser Vorschrift den Grundsatz zum Ausdruck gebracht, Entscheidungen eines unzuständigen Spruchorgans grds hinzunehmen, um aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes eine zeitaufwändige Streitentscheidung über Zuständigkeitsfragen zu vermeiden (in diesem Sinne auch BGH Urt v 14.5.13 – VI ZR 325/11 = NJW 13, 2601 Rz 15).
Rn 10
Die Grenze dieser eingeschränkten Überprüfbarkeit ist jedoch – in Anwendung der verfassungsgerichtlichen Rspr – dann erreicht, wenn die verfahrensfehlerhafte Anwendung des § 348 zugleich einen Verstoß gegen Art 101 I 2 GG darstellt (vgl bereits BGH Beschl v 13.3.03 – IX ZB 134/02 = BGHZ 154, 200, 202 ff; Beschl v 22.11.11 – VIII ZB 81/11 = NJW-RR 12, 125 Rz 8 ff jew mwN). Nach der Rspr des BVerfG verstößt nicht jede rechtsfehlerhafte Anwendung des einfachen Verfahrensrechts – unter Einschluss der gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen in den §§ 348 ff – gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter in Art 101 I 2 GG. Ein solcher Verstoß ist vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des einfachen (Verfahrens-)Rechts willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist. Eine Entziehung des gesetzlichen Richters unter Verstoß gegen Art 101 I 2 GG ist darüber hinaus dann zu bejahen, wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art 101 I 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl BVerfG Beschl v 10.7.1990 – 1 BvR 984/87, 985/87 = BVerfGE 82, 286, 298 f; Beschl v 2.6.09 – 1 BvR 2295/08 = BVerfGK 15, 537 Rz 20 jew mwN). Ein solcher Verstoß gegen Art 101 I 2 GG liegt nach der höchstrichterlichen Rspr etwa vor, wenn der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde bzw Revision wegen grds Bedeutung zulässt, ohne den Rechtsstreit zuvor im Hinblick auf § 348 III 1 Nr 2 zur Übernahme an die Kammer vorgelegt zu haben (vgl. BGH Beschl v 13.3.03 – IX ZB 134/02 = BGHZ 154, 200, 202 ff; Beschl v 22.11.11 – VIII ZB 81/11 = NJW-RR 12, 125 Rz 9). Auch die Entscheidung einer Kammersache durch einen Einzelrichter ohne vorherigen Übertragungsbeschluss stellt einen im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigenden Verstoß gegen Art 101 I 2 GG dar (s BGH Beschl v 25.11.15 – XII ZB 105/13 = NJW-RR 16, 388 Rz 9). Aufgrund der klaren, gesetzlichen Regelung in § 348 III 1 Nr 3 dürfte auch die Nichtvorlage eines Einzelrichters trotz übereinstimmendem Parteiantrag als Verletzung von Art 101 I 2 GG anzusehen sein (ebenso BeckOK ZPO/Fischer § 348 Rz 60). Demgegenüber wurde ein Verstoß gegen Art 101 I 2 GG in der obergerichtlichen Rspr verneint, wenn der originäre Einzelrichter entscheidet, obgleich eine andere Kammer des LG spezialzuständig iSv Abs 1 S 2 Nr 2 gewesen wäre und dies – nach den tatsächlichen Feststellungen – lediglich versehentlich verkannt wurde (s KG Urt v 29.10.13 – 26a U 88/13, juris Rz 24 f). Weiterhin wurde ein Verstoß gegen Art 101 I 2 GG in einem Beschwerdeverfahren als geheilt angesehen, wenn die Entscheidung eines unzuständigen Einzelrichters im Abhilfeverfahren durch die zuständige Kammer inhaltlich erkennbar in vollem Umfang geprüft wurde und die Kammer sich diese Entscheidung im Nichtabhilfebeschluss zu eigen gemacht hat (vgl Dresd Beschl v 21.8.23 – 4 W 500/23, mAnm Elzer FD-ZVR 24, 804707).