I. Allgemeines.
Rn 3
§ 349 II gewährt dem Vorsitzenden für bestimmte prozessuale (Zwischen-)Entscheidungen eine Alleinentscheidungsbefugnis. Hintergrund dieser Kompetenzzuweisung ist die gesetzgeberische Überlegung, dass diese rechtlich zu beurteilenden (Zwischen-)Entscheidungen gerade keine besondere Sachkunde tatsächlicher Art durch die Handelsrichter voraussetzen und diese Entscheidungen dementsprechend zur Gewährleistung eines möglichst zügigen Rechtsschutzes dem Vorsitzenden als Berufsrichter zugewiesen werden können (s BTDrs 7/2769, S 13; ausf zum Telos der Norm auch St/J/Bartels § 349 Rz 9 f) Die enumerative Aufzählung in § 349 II Nr 1–12 ist überdies nicht abschließend. Vielmehr kommt ihm auch in anderen Fallkonstellationen eine Alleinentscheidungsbefugnis zu, in denen eine rechtliche Entscheidung zu fällen ist, die nicht der besonderen Sachkunde der Handelsrichter bedarf – etwa bei der Entscheidung über die Anordnung eines selbstständigen Beweisverfahrens, einer Prozesstrennung bzw -verbindung oder Anträgen auf Durchführung einer Zwangsvollstreckung (allgM vgl etwa MüKoZPO/Stackmann § 349 Rz 23 f; Musielak/Voit/Wittschier § 349 Rz 18 jew mwN). Aus dieser Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden folgt jedoch keine diesbezügliche Verpflichtung. Vielmehr bleibt auch die Herbeiführung einer Kammerentscheidung zulässig. Wird die Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer getroffen, so ist hierfür zwingend die Kammer zuständig (vgl etwa MüKoZPO/Stackmann § 349 Rz 4; Musielak/Voit/Wittschier § 349 Rz 2). Die in anderen Vorschriften geregelten besonderen Befugnisse des Vorsitzenden bleiben von § 349 unberührt (insb § 944 [Alleinentscheidung über vorläufigen Rechtsschutz bei Dringlichkeit]; für die Entscheidung über Ordnungsmittelanträge ist aber auch dann die Kammer in voller Besetzung zuständig, wenn der Vorsitzende eine einstw Verfügung allein erlassen hat, Hambg Beschl v 6.5.09 – 5 W 33/09, juris Rz 3 ff; Ddorf Beschl v 3.5.22 – 20 W 20/22 = MDR 22, 979). § 45 Abs 1 geht § 349 vor (Ddorf Beschl v 6.3.19 – U.11 W 70/18 = WRP 19, 642).
II. Die Entscheidungen im Einzelnen.
Rn 4
Nach Nr 1 ist der Vorsitzende allein zuständig für alle Verweisungen innerhalb des Zivilgerichtszweigs (s §§ 97, 99 I GVG, § 281) und an Gerichte anderer Rechtswege (§ 17a II GVG). Soweit über eine Rüge betreffend die Zulässigkeit der Klage (Nr 2) abgesondert verhandelt wird, kann der Vorsitzende hierüber im Wege eines Zwischenurteils, abweisenden Prozessurteils oder Verweisungsbeschlusses alleine entscheiden. Dies schließt die Befugnis ein, die abgesonderte Verhandlung gem § 280 I anzuordnen. Die Vorschrift ist entsprechend auf Urteile gem §§ 75–77 und unechte Zwischenurteile (vgl § 303 Rn 1) anzuwenden. Nr 3 betrifft die Verfahrensaussetzung und die Anordnung des Ruhens des Verfahrens, zB nach §§ 65, 148 ff, 246 ff, 251, 251a (einschl der Aufhebung, § 150). Der Vorsitzende entscheidet auch über die Aufnahme des unterbrochenen oder ruhenden Verfahrens. Demgegenüber ist eine Vorlageentscheidung nach Art 100 I GG oder Art 267 AEUV aufgrund der Bedeutung dieser Entscheidung trotz ihres rechtlichen Charakters stets durch die Kammer zu treffen (in diesem Sinne bereits BTDrs 7/2769, S 13; ebenso Musielak/Voit/Wittschier § 349 Rz 8; Zö/Greger § 349 Rz 7; aA MüKoZPO/Stackmann § 349 Rz 13; diff BeckOK ZPO/Fischer § 349 Rz 12 und St/J/Bartels § 349 Rz 16). Eine alleinige Vorlagebefugnis kommt dem Vorsitzenden demgegenüber zu, wenn er aufgrund des Einverständnisses der Parteien nach § 349 III insg zur Alleinentscheidung des Rechtsstreits befugt ist (so bereits BVerfG Beschl v 5.6.1998 – 2 BvL 2–97 = NJW 99, 1095 f [BVerfG 05.06.1998 - 2 BvL 2/97]). Nr 4 befugt den Vorsitzenden zu den Entscheidungen gem § 269 IV nach Klagerücknahme und gem §§ 306, 307 nach Verzicht bzw Anerkenntnis. Entsprechende Anwendung findet Nr 4 bei Rücknahme eines Einspruchs oder der Berufung (§§ 346, 516 III 2). Gemäß Nr 5 kann der Vorsitzende die in den §§ 330–337, 345 für den Fall der Säumnis einer Partei vorgesehenen Entscheidungen treffen. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Zulässigkeit des Einspruchs (§ 341) und die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist (§ 233). Bei Säumnis beider Parteien kann der Vorsitzende allein gem § 251a entscheiden (Entscheidung nach Aktenlage, Vertagung, Anordnung des Ruhens des Verfahrens). Nr 6 betrifft die Entscheidung nach § 91a, wenn die Parteien übereinstimmend den gesamten Rechtsstreit für erledigt erklärt haben. Nach Nr 7 kann der Vorsitzende im PKH-Verfahren (§§ 114 ff) alleine entscheiden, ggf auch Beweise erheben (vgl § 118 II). Im Wechsel- oder Scheckprozess (§§ 602, 605a) kann der Vorsitzende nach Nr 8 allein entscheiden. Dies gilt jedoch nicht für andere Urkundenprozesse iSd § 592, da die Auslegung von Urkunden typischerweise die besondere Sachkunde der Handelsrichter erfordern kann (in diesem Sinne bereits BTDrs 7/2769, S 13; allgM vgl etwa MüKoZPO/Stackmann § 349 Rz 18). Nicht erfasst sind überdies das Nachverfahren (§ 60...