Gesetzestext
Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl.
A. Normzweck und dogmatische Einordnung.
Rn 1
§ 35 normiert als Ausfluss der Dispositionsmaxime (Musielak/Voit/Heinrich § 35 Rz 1) eine Selbstverständlichkeit, nämlich, dass der Kl zwischen mehreren eröffneten Gerichtsständen frei auswählen kann. Die Norm hat demnach eine rein deklaratorische Funktion.
B. Tatbestandsmerkmale.
I. Unter mehreren zuständigen Gerichten.
Rn 2
Beim Vorliegen eines oder mehrerer besonderer Gerichtsstände kann der Kl eine Wahl sowohl unter den besonderen als auch zwischen dem allgemeinen und dem/den besonderen Gerichtsstand/Gerichtsständen treffen. Bestehen (zB bei Doppelwohnsitz) mehrere allgemeine Gerichtsstände, so besteht auch zwischen ihnen die Wahl. Beim Vorliegen eines ausschließlichen Gerichtsstandes, werden die übrigen Gerichtsstände verdrängt, so dass kein Wahlrecht besteht. Eine Ausnahme hiervon gilt für den Fall des Zusammentreffens mehrerer ausschließlicher Gerichtsstände (Thümmel NJW 86, 556, 558). Eine weitere Ausnahme gilt für den Fall des Betreibens eines gemeinsamen Vollstreckungsabwehrklageverfahrens gegen die Vollstreckung aus einer vollstreckbaren Urkunde durch mehrere Vollstreckungsschuldner als Streitgenossen mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen. Trotz der jeweiligen Ausschließlichkeit dieser Gerichtsstände gem §§ 797 V, 802 für das Vollstreckungsabwehrklageverfahren jedes einzelnen Streitgenossen sind die Streitgenossen zum Zwecke der Ermöglichung eines gemeinsamen Verfahrens nicht darauf angewiesen, eine Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 I Nr 3 herbeizuführen. Vielmehr ist ihnen ein eigenes Wahlrecht analog § 35 zuzubilligen, da nur dies dem von § 797 V intendierten Schuldnerschutzgedanken gerecht wird (BGH NJW 91, 2910; Thümmel NJW 86, 556, 558 f). Ein solches Wahlrecht analog § 35 ist mehreren Kl, die in aktiver Streitgenossenschaft vorgehen wollen, überdies auch dann zuzubilligen, wenn zu ihren Gunsten ein – nicht gemeinsamer – nicht ausschließlicher Klägergerichtsstand (zB als Kl einer negativen Feststellungsklage) besteht, da es nicht einzusehen ist, warum Kl, die gemeinsam klagen wollen, zur Ermöglichung einer gemeinsamen Klage dazu genötigt sein sollen, die ihnen vom Gesetzgeber zugedachte Privilegierung des Klägergerichtsstands aufopfern zu müssen (München Beschl v 18.8.09 – 31 AR 355/09, NJW-RR 10, 645; Musielak/Voit/Heinrich § 35 Rz 2; aA München Beschl v 12.5.10 – 34 AR 18/10, Rz 6 – juris).
II. Ausübung des Wahlrechts durch den Kläger und Bindungswirkung.
Rn 3
Die Ausübung des Wahlrechts muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch konkludent durch Einreichung einer Klageschrift bei dem angegangenen Gericht oder einer Widerklage oder durch die Bezeichnung eines Gerichts als für die Durchführung eines streitigen Verfahrens zuständig (vgl § 690 I Nr 5) im Mahnbescheidsantrag erfolgen (BayObLG Beschl v 9.1.23 – 102 AR 150/22, Rz 23 – juris; München MDR 07, 1154, 1155; Hamm MDR 12, 800, 801 [OLG Hamm 13.02.2012 - 32 SA 5/12]). Das Wahlrecht kann nur vor Eintritt der Rechtshängigkeit ausgeübt werden und erlischt mit deren Eintritt (BayObLG Beschl v 20.7.23 – 101 AR 150/23 e, Rz 55 –, juris; Hamm Beschl v 9.1.19 – 32 SA 7/19, Rz 10 – juris). Mit der Zustellung der Klageschrift (§§ 253 I, 261 I, III Nr 2) bzw des Mahnbescheids im Mahnverfahren – s § 696 III: rückwirkend auf Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids fingierte Rechtshängigkeit bei baldiger Abgabe an Streitgericht nach Widerspruch (s BGH NJW 1993, 1273; BeckOKZPO/Toussaint § 35 Rz 8 mwN) – wird die vom Kl getroffene Wahl unter den zuständigen Gerichten bindend und grds unwiderruflich (BGH Beschl v 19.1.93 – X ARZ 845/92 – NJW 93, 1273; BGH Beschl v 22.6.93 – X ARZ 340/93 –NJW 93, 2810; BayObLG Beschl v 9.1.23 – 102 AR 150/22, Rz 23 – juris; BayObLG Beschl v 20.7.23 – 101 AR 150/23 e, Rz 55 –, juris; München MDR 07, 1154, 1155; BeckOKZPO/Toussaint § 35 Rz 8). Wird die Wahl durch einen Verweisungsantrag (§ 281 I 1) ausgeübt, ist dies sofort bindend (vgl. BayObLG NJW-RR 1991, 187 (188); BeckOKZPO/Toussaint § 35 Rz 8.1). Gleiches gilt für die Zustellung einer Widerklage, die der am Wohnsitz in Anspruch genommene Bekl im Gerichtsstand des § 33 erhebt (Zweibr NJW-RR 00, 590 f [OLG Zweibrücken 30.04.1999 - 2 AR 18/99]). Zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit ist folglich der Kl an seine ausgeübte Wahl nicht gebunden. Er kann daher gegenüber dem zunächst gewählten Gericht jederzeit seine Wahl frei ändern und Abgabe an das neu gewählte Gericht beantragen (vgl. BayObLG BeckRS 1999, 8560 mwN; LAG SchlH BeckRS 2009, 55140 unter II 2; München MDR 07, 1154, 1155 [OLG München 23.11.2006 - 31 AR 138/06]; BeckOKZPO/Toussaint § 35 Rz 9 mwN). Im selbstständigen Beweisverfahren wird das Wahlrecht mit Einreichung der Antragsschrift bindend ausgeübt (Zweibr BauR 97, 885). Die im Arrest- bzw einstweiligen Verfügungsverfahren getroffene Wahl hat nur für das Eilverfahren Wirkung ohne Verbrauch des Wahlrechts für das Hauptsacheverfahren (Karlsr NJW 73, 1509, 1510 [OLG Karlsruhe 28.03.1973 - 6 U 3/72]).
Das Wahlrecht besteht grds nur zu Beginn eines Rechtsstreits, hingegen entsteht es nicht ow bei jedem H...