Gesetzestext
(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen.
(2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt.
A. Normzweck.
Rn 1
Die Vorschrift stellt den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit an die Spitze der allgemeinen Bestimmungen für die Beweisaufnahme und unterstreicht dadurch dessen Bedeutung iRd freien Beweiswürdigung. Jede Zwischenschaltung von Mittelspersonen macht das entscheidende Gericht von deren Wahrnehmungsmöglichkeiten und Perspektive abhängig und verändert dadurch die Entscheidungsgrundlage und Betrachtungsweise. Gleichzeitig dient das Prinzip der Prozessbeschleunigung. Der Grundsatz wird allerdings nur formal verstanden und hat keinen Verfassungsrang (BVerfGE 1, 418, 429 [BVerfG 18.09.1952 - 1 BvR 612/52]; NJW 08, 2243, 2244 [BVerfG 30.01.2008 - 2 BvR 2300/07]). Das erkennende Gericht muss die Beweise selbst ohne Zwischenschaltung Dritter erheben und würdigen. Eine materielle Beweisunmittelbarkeit im Sinn einer Verpflichtung, aus mehreren Beweisen diejenigen auszuwählen, die möglichst unmittelbar über die zu beweisenden Tatsachen Aufschluss geben, ist der Norm nicht zu entnehmen, erst Recht kein Ausschluss mittelbarer Beweise – etwa des Zeugen vom Hörensagen oder der Verwertung anderweit aufgenommener Vernehmungsprotokolle oder Gutachten im Wege des Urkundenbeweises (hM; etwa BVerfG NJW 94, 2347; BGHZ 168, 79, 84; München NJW 86, 263; aA BAG AuR 69, 61, 62; Bachmann ZZP 118, 133, 140 ff; Rohwer S 47 ff). Die Erhebung beantragter sachnäherer Beweise kann jedoch nicht mit dem Hinweis auf die bereits erhobenen mittelbaren Beweise verweigert werden (BGHZ 7, 116, 121 f; NJW 97, 3096, 3097; Frankf NJW-RR 22, 402 f). Zulässig ist es danach, eine Zeugenvernehmung anhand früher aufgenommener Vernehmungsprotokolle durchzuführen (BGH Beschl v 20.5.10 – III ZR 137/09, Rz 7 – juris). Eine zeitnahe Würdigung der erhobenen Beweise (sog zeitliche Unmittelbarkeit) wird hingegen nur iRv §§ 285 I, 370 gewährleistet.
B. Anwendungsbereich.
Rn 2
Der Grundsatz gilt im förmlichen Beweisverfahren nach der ZPO einschließlich des selbstständigen Beweisverfahrens, sofern dafür das Prozessgericht, auch das potentielle Prozessgericht iSv § 486 II zuständig ist. Im Fall des § 486 III dagegen ist eine Übertragung der Beweisaufnahme auch außerhalb der gesetzlichen Ausnahmeregelungen möglich, da der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit dann ohnehin durchbrochen ist (MüKoZPO/Schreiber § 492 Rz 1 auch für den Fall des § 492 II; aA Zö/Herget § 492 Rz 1).
Rn 3
§§ 58, 64 VII ArbGG modifizieren den Grundsatz für den Arbeitsgerichtsprozess. Über § 15 FGG fand § 355 auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung, sofern dort eine förmliche Beweisaufnahme erfolgt (BGH NJW 59, 1323, 1324; Karlsr NJW-RR 98, 1771, 1772; Mü FamRZ 08, 2047, 2048). Daran hat sich mit Inkrafttreten des FamFG nichts geändert. Findet nach § 30 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme statt, gilt über die allgemeine Verweisung auf die Beweisregeln der ZPO auch der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit (Schulte-Bungert/Weinreich/Brinkmann § 30 FamFG Rz 22 ff; BGH NJW 18, 1261 [BGH 25.01.2018 - V ZB 191/17] Rz 10). Dagegen ist er iRd Freibeweises nicht zwingend einzuhalten (Schulte-Bungert/Weinreich/Brinkmann § 29 FamFG Rz 11).
C. Voraussetzungen.
I. Prozessgericht.
Rn 4
Die Beweisaufnahme muss vor dem für die Entscheidung zuständigen Spruchkörper erfolgen. Dies ist entweder das Kollegialgericht in seiner vollen Besetzung (BGHZ 32, 233, 236: nicht nur zwei Mitglieder) oder der Einzelrichter, sofern dieser gem § 348 originär zuständig ist oder ihm die Entscheidung gem §§ 348a, 526 übertragen wurde. Anders als in der Berufungsinstanz (§ 527 I 2) können bei einer Entscheidung der Zivilkammer auch einzelne Beweisaufnahmen nicht einem vorbereitenden Einzelrichter übertragen werden (BGH NJW 00, 2024, 2025 [BGH 15.03.2000 - VIII ZR 31/99]). Richter und Beweismittel müssen sich persönlich und gleichzeitig am Ort der Beweiserhebung aufhalten. Die gesetzlich nunmehr vorgesehene Möglichkeit audiovisueller Übertragungen gem § 128a II bleibt davon unberührt.
Rn 5
Nach einem Richterwechsel soll nach gefestigter Rspr eine erneute Beweisaufnahme nicht zwingend erforderlich sein (BGH NJW 18, 1261 Rz 10; 17, 1313 Rz 28; BGHZ 53, 245, 257). Dagegen weist St/J/Berger (Rz 12) zu Recht darauf hin, dass dadurch letztlich nur ein Urkundenbeweis anstelle des beantragten unmittelbaren Zeugenbeweises erhoben wird, dies auch dem in BGHZ 32, 233, 236 anerkannten Verbot einer Beweisaufnahme nur durch Teile des Spruchkollegiums widerspricht und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips häufig nicht vorliegen werden (s.a. schon Wax LM Nr 3 zu § 309). Auch nach der Rspr dürfen aber nur aktenkundige, dh regelmäßig nur protokollierte Umstände etwa zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder zur Augenscheinseinnahme verwertet ...