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›Rechtskräftig‹ sind die zuständigkeitsleugnenden Entscheidungen (Zwischenurteil nach § 280; Verweisungsbeschluss nach § 281) grds dann, wenn sie infolge Unanfechtbarkeit nicht oder wegen Fristablaufs oder Erschöpfung des Instanzenzugs nicht mehr mit einem Rechtsbehelf angefochten werden können (Zweibr MDR 05, 1187, 1188 [OLG Zweibrücken 19.05.2005 - 2 AR 28/05]). Hat ein Gericht durch unanfechtbaren Beschluss verwiesen, das empfangende Gericht seine Zuständigkeit durch abschließende Entscheidung verneint, ist das Tatbestandsmerkmal ›rechtskräftig‹ erfüllt (BGH Beschl v 15.8.17 – X ARZ 204/17, Rz 12 – juris). Eng verknüpft mit dem Problem der Zuständigkeitsbestimmung vor Rechtshängigkeit ist die Auslegung des Merkmals der ›Rechtskraft‹ in diesen Konstellationen. Die Rspr behilft sich hier mit einer extensiven Auslegung (s BayObLG Beschl v 17.10.22 –101 AR 80/22, Rz 14 mwN – juris), wonach es in diesen Fällen zur Erfüllung des Merkmals ›Rechtskraft‹ genügt, wenn den Verfahrensbeteiligten die tatsächlich verbindlich gewollte Zuständigkeitsleugnung der Gerichte formlos bekannt gemacht wurde (BayObLG Beschl v 9.1.23 – 102 AR 150/22, Rz 16 – juris; KG Beschluss v 19.10.20 – 2 AR 1038/20, NJW-RR 21, 62 [OLG Stuttgart 21.10.2020 - 6 W 53/20], Rz 5 mwN – juris; Frankf NJW-RR 07, 16 [OLG Stuttgart 07.06.2006 - 13 U 89/06]; Frankf MDR 13, 300 ff). Dies greift insb bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, bei denen den Beteiligten aus verfahrensimmanenten Gründen eine Verfahrensverzögerung durch das Beachten von Förmlichkeiten per se nicht zumutbar ist (Brandbg NJW-RR 01, 429). Gleiches gilt auch im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren (Dresd NJW 99, 797, 798; aA Karlsr FamRZ 01, 835) oder im Mahnbescheidsverfahren vor Erlass des Mahnbescheides (BayObLG Rpfleger 02, 528, 529; Schlesw OLGR 07, 960), aber auch im Hauptsacheverfahren, wenn nach der Zuständigkeitsleugnung mehrerer Gerichte nachträglich Unsicherheiten bezüglich der Wirksamkeit der Klagezustellung auftreten (Frankf MDR 13, 300 ff). § 36 I Nr 6 ist jedenfalls entsprechend anwendbar, wenn Mahn- und Streitgericht ihre Zuständigkeit verneint haben (Hamm Beschl v 12.12.15 – 32 SA 47/15, Rz 12 – juris). Auch wenn das Merkmal der ›Rechtskraft‹ in den Konstellationen, in denen eine Zuständigkeitsbestimmung vor Rechtshängigkeit erfolgt, weit ausgelegt oder im Wege der Analogiebildung überwunden wird, ist stets Grundvoraussetzung für eine endgültige Zuständigkeitsbestimmung in direkter oder analoger Anwendung des § 36 I Nr 6, dass es überhaupt zu einer den Verfahrensbeteiligten bekannt gegebenen Entscheidung der Gerichte mit Außenwirkung kommt. Dies setzt zwar – wie die vorstehenden Ausführungen zur ›Rechtshängigkeit‹ belegen – nicht ausnahmslos voraus, dass eine bestimmte Entscheidungsform (›Beschluss‹ etc) gewählt wird, wohl aber, dass es zumindest zu einer den Parteien bekannt gegebenen tatsächlichen Zuständigkeitsleugnung der Gerichte gekommen (s § 329 II 1) ist (BayObLG Beschl v 9.1.23 – 102 AR 150/22, Rz 16 – juris; BayObLG Beschl v 2.12.21 – 101 AR 163/21, Rz 22 mwN – juris; KG Beschl v 14.11.22 – 2 AR 44/22, Rz. 6 – juris; Frankf MDR 13, 300 ff). Das bloße Hin- und Hersenden der Akten mit gerichtsintern gebliebenen, zuständigkeitsverneinenden Vermerken genügt demnach für eine ›Unzuständigkeitserklärung‹ nicht (Hambg OLGR 05, 805, 806; München Beschl v 6.11.15 – 34 AR 231/15, Rz 5 – juris). Ergibt sich die Unzuständigkeitserklärung lediglich aus einer Rückgabeverfügung, die den Beteiligten nicht bekannt gemacht worden ist, handelt es sich um einen akteninternen Vorgang, der den Parteien gegenüber rechtlich nicht wirksam ist, sodass die Zuständigkeitsbestimmung gem § 36 I Nr 6 ZPO abzulehnen ist (Brandbg Beschl v 21.2.22 – 1 AR 4/22 [SA Z], Rz 7 – juris; Hamm Beschl v 20.9.18 – I-32 SA 27/18, Rz 16, 17 mwN – juris). Auch wenn § 36 I Nr 6 nach seinem Wortlaut voraussetzt, dass eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, zuständig ist, kann ausnahmsweise zur Verfahrensbeschleunigung das zuständige Gericht bestimmt werden, auch wenn dieses sich noch nicht für unzuständig erklärt hat, sofern hierzu rechtliches Gehör gewährt wurde (BAG Beschl v 21.12.15 – 10 AS 9/15, Rz 25 – juris; BGH Beschl v 15.3.78 – IV ARZ 17/78, Rz 5 – juris, BGHZ 71, 69; BGH Beschl v 17.2.93 – XII ARZ 2/93, Rz 6 – juris).