Rn 9
Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts muss das Gericht vorrangig prüfen, ob hinsichtlich bereits anhängiger Verfahren Bindungswirkungen gem § 281 II 4 oder Zuständigkeitsverfestigungen nach § 261 III Nr 2 eingetreten sind, die eine Zuständigkeitsbestimmung ausschließen (BGH NJW 06, 699, 700 [BGH 10.01.2006 - X ARZ 367/05]), oder ob eine gesetzliche Beschränkung des Auswahlermessens eingreift. Letzteres ist der Fall, wenn in Bezug auf einen Streitgenossen ein Gerichtsstand gemäß der – gegenüber der ZPO anwendungsvorrangigen – EuGVVO begründet ist, der im Gegensatz zu den ausschließlichen ZPO-Gerichtsständen im Verfahren gem § 36 I Nr 3 ausnahmslos Geltung beansprucht (BGH Beschl v 6.5.13 – X ARZ 65/13, Rz 16, NJW-RR 13, 1399; MDR 13, 805 ff; München, Urt v 3.7.17 – 34 AR 59/17, Rz 6 – juris; Frankf Beschl v 30.7.12 – 11 AR 132/12, ZIP 13, 387; Stürner jurisPR-BGHZivilR 13/2013 Anm 3; vgl BeckOKZPO/Toussaint § 36 Rz 26); dies gilt auch für die abschließende Regelung der Zuständigkeit für Verbrauchersachen gem Art 15–17 Lugano-Übk II (BGH Beschl v 20.10.20 – X ARZ 124/20, Rz 20, 22 – juris = ZIP 21, 209). Regelmäßig kann nur ein Gericht bestimmt werden, bei dem wenigstens einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (BGH Beschl v 9.10.86 – I ARZ 487/86, Rz 7 – juris; Hamm Beschl v 7.10.16 – I-32 SA 62/16, Rz 10 – juris; BeckOKZPO/Toussaint § 36 Rz 24). Die Auswahl des in Frage kommenden Gerichts erfolgt unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten sowie unter Berücksichtigung der Prozessökonomie (BGH Beschl v 20.10.20 – X ARZ 124/20, Rz 54 – juris = ZIP 21, 209; Beschl v 20.5.08 – X ARZ 98/08, Rz 20 – juris; Frankf NJW-RR 06, 864; BeckOKZPO/Toussaint § 36 Rz 23). Hierzu können zählen und ggf gegeneinander abzuwägen sein (München MDR 11, 1068): Bestehen eines ausschließlichen Gerichtsstands für einen oder mehrere Streitgenossen (Aspekt mit besonderem Gewicht: BGH Beschl v 20.5.08 – X ARZ 98/08, Rz 20 – juris; BGH Beschl v 9.10.86 – I ARZ 487/86, Rz 7 – juris; BayObLG Beschluss v 5. 8.22 – 101 AR 54/22, Rz. 29 – juris; Köln Beschl v 21.2.08 – 8 W 84/07, Rz 10 – juris; aber nicht zwingend: s Köln Beschl v 29.1.20 – I-8 AR 10/20, NZI 20, 388, Rz 16 – juris); Prorogation eines ausschließlichen Gerichtsstands mit einem oder einzelnen Streitgenossen, sofern den übrigen zumutbar (BayObLG Beschl v 12.6.19 – 1 AR 62/19, Rz 13 – juris; KG VersR 07, 1007, 1008); Zustimmung der Mehrheit der Parteien zu einem Gerichtsstand (Frankf NJW-RR 06, 864); Gerichtsstand, auf den sich die verklagten Streitgenossen iRe ›Koordinationsabsprache‹ verständigt haben (München MDR 11, 1068); allgemeiner Gerichtsstand der Mehrheit der Parteien (Hamm NJW 00, 1347; Kobl MDR 10, 589); Rechtsgedanke des § 22 (Kobl MDR 10, 589); beim Eingreifen des § 32b nF die Ortsnähe des Sitzes der beklagten beratenden Bank zum Kl, sofern die Zielgesellschaft nicht mitverklagt ist (Frankf Beschl v 13.11.13 – 11 SV 100/13 – juris); etwaige Beauftragung von Anwälten am Wohnsitz/Sitz der Parteien (Hamm NJW 00, 1347; München MDR 11, 1068); Bestehen eines für die verfahrensgegenständliche Rechtsmaterie spezialzuständigen Spruchkörpers am Gerichtsstand (München MDR 11, 1068); Bezirk, ›in dem der Rechtsstreit seinen Ursprung und Kern hat‹ (Kobl MDR 10, 589); der räumliche ›Schwerpunkt‹ eines Rechtsstreits (zB Belegenheit eines Objektes bei Werkvertrags- oder Maklerhonorarklagen – Celle BauR 02, 1286, 1287); die ›Hauptverantwortlichkeit‹ eines Streitgenossen iRe Haftungsprozesses (BayObLG NJW-RR 06, 210, 212; zB bei Haftungsprozessen gegen mehrere Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft: Anknüpfung an den allgemeinen Gerichtsstand des Handelnden, vgl Cuypers MDR 09, 657, 662) oder die Nähe eines Gerichts zum Sitz einer Staatsanwaltschaft, die wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts ein aufwändiges Ermittlungsverfahren führt (BayObLG NJW-RR 06, 210, 212 [BayObLG 20.07.2005 - 1Z AR 118/05]). Wenn die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands für alle Bekl nicht möglich ist, ist sogar eine Bestimmung für einzelne Bekl zulässig (BGH Beschl v 20.10.20 – X ARZ 124/20, Rz 53 – juris = ZIP 21, 209). Die für die Zuständigkeitsbestimmung leitenden Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte müssen mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip, das stets eine Begründung belastender Hoheitsakte gebietet, in der Entscheidung dargelegt werden, da anderenfalls eine hierauf beruhende Aufhebung der Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren in Betracht kommen kann (vgl BVerfG NJW 09, 907 [BVerfG 12.11.2008 - 1 BvR 2788/08]).
Rn 10
Ausnahmen vom Grundsatz, dass nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem wenigstens einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, werden anerkannt, wenn ein ausschließlicher Gerichtsstand für einen oder mehrere Streitgenossen besteht oder wenn dieser zwischen Kl und einem Streitgenossen mit ausschließlicher Wirkung prorogiert wurde und dies den anderen Streitgenossen zugemutet werden kann oder wenn – im Falle der parteierweiternden ...