Rn 2

Der ›Augenschein‹ erfolgt nicht nur durch Sehen, sondern durch alle Sinne, also auch durch Gehör (zB Anhören von Lärmquellen; Abspielen von Musikstücken zur Feststellung von Urheberrechtsverletzungen), Geruch (zB iRv § 906 I BGB: Zuführung von Gasen, Dämpfen und Gerüchen auf ein Grundstück), Geschmack (zB von Lebensmitteln) oder durch den Tastsinn (zB zur Ermittlung der Qualität von Materialien). In der Lebenswirklichkeit wird Hauptanwendungsfall des Augenscheins jedoch der sog ›Ortstermin‹, also die Besichtigung einer Gegebenheit (häufig außerhalb des Gerichtsgebäudes) zur Feststellung entscheidungsrelevanter Tatsachen sein.

Sofern es bei der Augenscheinseinholung nicht um den Gesichtssinn selbst geht, kann auch ein blinder Richter sich dieses Beweismittels ohne Weiteres bedienen. Bedenklich erscheint dagegen die Auffassung, auch ohne eine formelle Übertragung der Beweisaufnahme auf einen sehenden Richter (§ 375 II) könnten die sehenden Mitglieder eines Spruchkörpers dem blinden Kollegen das Ergebnis eines Augenscheins vermitteln (Frankf MDR 10, 1015 [OLG Nürnberg 23.03.2010 - 4 W 2234/09], Rz 8).

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