Gesetzestext
(1) Das Prozessgericht kann anordnen, dass bei der Einnahme des Augenscheins ein oder mehrere Sachverständige zuzuziehen seien.
(2) Es kann einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht die Einnahme des Augen scheins übertragen, auch die Ernennung der zuzuziehenden Sachverständigen überlassen.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 372 regelt nach seinem Wortlaut nur die Beiziehung von Sachverständigen und den Einsatz von ersuchten und beauftragten Richtern. Die Durchführung der Beweisaufnahme beim Augenschein ergibt sich iÜ aus den allgemeinen prozessualen Vorschriften.
B. Durchführung des Augenscheins.
I. (Partei-)Öffentlichkeit.
Rn 2
Wie jede andere Beweisaufnahme hat der Augenschein öffentlich zu erfolgen, § 169 GVG. Den Parteien ist die Anwesenheit gestattet gem § 357. Einschränkungen mögen bei der Untersuchung einer Person unter der Bedingung hinnehmbar sein, dass durch entsprechende verfahrensmäßige Ausgestaltung seitens des Gerichts (rechtzeitige Hinweise gem § 139 I; ggf Schriftsatzfristen gem § 139 V) das Recht der Parteien, zum Prozessgeschehen vorzutragen, nicht beeinträchtigt wird.
II. Sachverständige.
Rn 3
Das Prozessgericht (bzw im Falle des § 372 II der ersuchte oder beauftragte Richter) als das den Augenschein einholende Organ (§ 355) entscheidet nach eigenem Ermessen, ob es hierzu einen oder auch mehrere Sachverständige beizieht. In der Prozesswirklichkeit wird dies ohne praktische Bedeutung bleiben (s aber § 375 Rn 6 zur Vernehmung von Zeugen in Gegenwart des Sachverständigen), weil die Beiziehung des Sachverständigen nur in den Fällen in Betracht kommen und erforderlich werden wird, in denen – aufbauend auf den Erkenntnissen aus dem Augenschein – eine sachverständige Begutachtung notwendig wird (Zö/Greger § 372 Rz 1). Dann wird die Beweisaufnahme aber in den meisten Fällen nicht durch förmlichen Augenschein, sondern durch Sachverständigenbeweis erfolgen, wobei dem Sachverständigen – trotz § 355 I zulässigerweise (ebenso Musielak/Voit/Huber § 372 Rz 3) – die Einholung eines hierzu etwa notwendigen Augenscheins überlassen wird. Eine weitere Variante der Beweisaufnahme ist diejeinige durch den ›Augenscheinsgehilfen‹ (BeckOKZPO/Bach § 372 Rz 2): dieser nimmt den (zB schwer zugänglichen, etwa am Meeresgrund liegenden) fraglichen Gegenstand in Augenschein und wird anschließend hierüber als Zeuge (§ 373) vernommen.
III. Protokollierung.
Rn 4
Gemäß § 160 III Nr 5 ist ›das Ergebnis eines Augenscheins‹ zu protokollieren; hiermit ist nicht die Beweiswürdigung, wohl aber sind die tatsächlichen Feststellungen und der Gesamteindruck, den das Gericht gewonnen hat, gemeint (Zö/Schultzky § 160 Rz 9). Dass entgegen dem Wortlaut des § 160 die Wiedergabe des Ergebnisses des Augenscheins im Tatbestand des Urteils reichen soll (Zö/Greger § 372 Rz 1; Musielak/Voit/Huber § 372 Rz 6), sofern kein Richterwechsel stattgefunden hat, überzeugt nicht. Ein derartiges Vorgehen nimmt den Parteien die Möglichkeit, gem § 164 auf die Berichtigung des Protokolls anzutragen oder gem § 162 I 3 Einwendungen gegen das Protokoll und somit gegen das Ergebnis der Beweisaufnahme vorzubringen. Entbehrlich ist das Inhaltsprotokoll freilich in den in §§ 160 III Nr 5, 160a II 2, 161 geschilderten Fällen.
C. Eingeschränkte Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.
I. Beweisaufnahme durch Prozessgericht.
Rn 5
Gemäß § 355 ist es die Aufgabe des (gesamten) Prozessgerichts, die Beweisaufnahme durchzuführen, also den Augenschein einzunehmen, auch wenn dieser gem § 219 I ›an Ort und Stelle‹ durchgeführt wird.
II. Beweisaufnahme durch verordneten Richter.
Rn 6
Zur Erleichterung der Einnahme des Augenscheins kann das Prozessgericht gem §§ 372 II, 355 I 2 diese dem beauftragten (§ 361) oder dem ersuchten (§ 362) Richter übertragen, ohne dass die Einschränkungen des § 375 I, II beachtet werden müssten (Zö/Greger § 372 Rz 2). In diesem Fall entscheidet der ersuchte oder beauftragte Richter, ob er einen Sachverständigen beizieht, sofern nicht schon das Prozessgericht über diese Frage entschieden hat (Zö/Greger § 372 Rz 2). Letztere Einschränkung rechtfertigt sich aus der Überlegung heraus, dass schon der Einsatz des beauftragten oder ersuchten Richters eine von diesem nicht nachzuprüfende Entscheidung des Prozessgerichts ist, weshalb dieses dem Richter die Ernennung des Sachverständigen überlassen ›kann‹ (also nicht dazu gezwungen ist, sondern diese Entscheidung auch selbst treffen kann; zur praktischen Irrelevanz dieses Problems s.o. Rn 3).