I. Grundsatz.
Rn 18
Es stellt einen grds zulässigen und beachtlichen Beweisantritt dar, die in einem Protokoll, bspw aus einem früheren Verfahren (gleich welchen Gerichtszweigs), festgehaltene Aussage eines Zeugen nicht durch dessen erneute Vernehmung, sondern als Urkundsbeweis in den aktuellen Prozess einführen zu wollen (zum Sonderfall der Verlesung einer früheren Aussage iRd Vernehmung s § 377 Rn 14 und § 396 Rn 3). Auch die außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens getätigte schriftliche Aussage einer Person, zB eines Unfallbeobachters ggü einer Versicherung, kommt – im Wege des Urkundenbeweises – als taugliches Beweismittel in Betracht (BGH NJW-RR 07, 1077, 1078 [BGH 13.02.2007 - VI ZR 58/06]). Es verstößt aber gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn der Richter Bekundungen, die Personen vor ihm, aber in anderweitigen Verfahren getätigt haben, ohne Antrag einer Partei als gerichtsbekannt im Rechtsstreit verwertet (BGH MDR 11, 562 = NJW-RR 11, 569 [BGH 04.11.2010 - I ZR 190/08], Rz 10). Statthaft ist die Vernehmung als Zeuge der früheren Verhörsperson; Verwertungsverbote ergeben sich insoweit bei einem Verstoß gegen § 383 II, nicht aber (aA Musielak/Voit/Huber § 373 Rz 4) bei einer trotz eines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 384 erlangten Aussage (s § 383 Rn 8, § 384 Rn 10).
II. Beweiswert.
Rn 19
Der Beweiswert dieses Beweismittels ist aber äußerst begrenzt. Hierdurch kann nämlich lediglich der Nachweis dessen, was Inhalt der früheren Aussage war, geführt werden, nicht aber der Nachweis der inhaltlichen Richtigkeit der früheren Aussage (BGH NJW 95, 2856, 2857; grundlegend verfehlt daher Dresd GesR 17, 333 Rz 11: ›im Wege des Urkundenbeweises gem § 373 ZPO‹). Eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage wird praktisch ohne erneute Vernehmung des Zeugen durch das Prozessgericht (zur Problematik der Vernehmung durch den ersuchten oder beauftragten Richter s § 375) nicht möglich sein, schon weil anderenfalls gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355) verstoßen würde. Die Vernehmung des Zeugen kann daher grds auch nicht durch die Verwertung einer von ihm stammenden eidesstattlichen Versicherung im Wege des Urkundsbeweises ersetzt werden; dies vermittelt dem Richter nicht den erforderlichen persönlichen Eindruck von dem Zeugen (BGH VersR 11, 817, Rz 6). In der Berufungsinstanz kann zwar ein angetretener Zeugenbeweis durch die Verwertung der Niederschrift der erstinstanzlichen Zeugenvernehmung ersetzt werden, wenn der persönliche Eindruck, den der Zeuge bei seiner Vernehmung hinterließ oder bei einer erneuten Vernehmung hinterlassen würde, für die Würdigung seiner Aussage nicht entscheidend ist (BGH WM 18, 1845 Rz 29); dies wird selten vorkommen.
III. Fragerecht der Parteien.
Rn 20
Die Parteien haben daher gem § 373 ohne Weiteres das prozessuale Recht, die unmittelbare Befragung der Zeugen zu beantragen (München 30.11.06 – 19 U 2203/06, Rz 11); hierauf und auf den geringeren Beweiswert einer im Wege des Urkundsbeweises eingeführten früheren Aussage der Auskunftsperson hat das Gericht hinzuweisen (§§ 139, 273; BGH NJW 04, 1324, 1325 [BGH 12.11.2003 - XII ZR 109/01]). Auch die Partei, die zunächst den Urkundsbeweis angetreten hat, darf, ohne sich Verfahrensverzögerung vorwerfen lassen zu müssen (BGH NJW 83, 999, 1000 [BGH 16.11.1982 - VI ZR 78/81]), und ohne dass § 398 entgegenstünde (BGH NJW-RR 88, 1527, 1528 [BGH 06.06.1988 - II ZR 332/87]), zum Zeugenbeweis übergehen (Zö/Greger Vor § 373 Rz 13). Die urkundenbeweisliche Verwertung der früheren Aussage anstelle der beantragten Vernehmung ist dann unzulässig (BGH 30.11.11 – III ZR 45/11, Rz 4).
IV. Amtliche Auskünfte.
Rn 21
Einen Sonderfall stellen die amtlichen Auskünfte gem §§ 273 II Nr. 2, 358a Nr. 2 dar. Diese können Zeugenvernehmungen ersetzen (s § 273 Rn 9); die Partei kann aber auf der Vernehmung des Zeugen (also des auskunftgebenden Behördenangehörigen) bestehen (Musielak/Voit/Huber § 373 Rz 5).