I. Anwendungsbereich.
Rn 10
§ 4 I Hs 2 gilt für den Zuständigkeits-, den Rechtsmittel- (BGHR ZPO § 4 Abs 1 Nebenforderung 1) und den Bagatellstreitwert. Die Verfahrenssicherheit (Rn 1) wird durch Hs 2 weiter erhöht, weil alleine aufgrund von laufenden Zinsen und Kosten die Sache nicht nach § 506 aus der Zuständigkeit des AG herauswachsen kann. Der GeS bestimmt sich inhaltsgleich nach § 43 I GKG, § 23 I 1 RVG. Die Sonderregelungen in § 43 II, III GKG sind im Zivilprozess wenig praxisrelevant (vgl Hartmann/Toussaint/Toussaint § 43 GKG Rz 4 ff). In der Zwangsvollstreckung ist § 25 I Nr 1 RVG zu beachten. Für den Verurteilungsstreitwert nach § 708 Nr 11 und den Vollstreckungsstreitwert nach § 866 III 1 braucht wegen des ohnehin vorgegebenen Wertes der Hauptsache auf § 4 I nicht zurückgegriffen zu werden. Für Familiensachen vgl § 37 FamGKG (Schulte-Bunert/Weinreich/Keske § 37 FamGKG).
II. Charakterisierung als Nebenforderung.
1. Allgemeines.
a) Abschließende Regelung.
Rn 11
Die nicht zu berücksichtigenden Nebenforderungen sind im Gesetz abschließend aufgezählt; erweiternde Auslegung oder Analogie sind nicht zulässig, so dass der Zuwachs eines Grundstücks (§ 946 BGB), Lagergelder, Frachten, Vertragsstrafen und Finanzierungskosten wie auch Zölle und Steuern auf die Hauptforderung, namentlich die MWSt, beim Streitwert generell zusätzlich zu berücksichtigen sind (Frankf JurBüro 89, 1735: Antrag nach § 1383 BGB; St/J/Roth § 4 Rz 18 f; Musielak/Voit/Heinrich § 4 Rz 12; Anders/Gehle/Gehle § 4 Rz 23). Steuern auf Zinsen bleiben demgegenüber Nebenforderung.
b) Geltendmachung als Nebenforderung.
Rn 12
Als Nebenforderung wird ein Anspruch geltend gemacht, wenn er als vom eingeklagten Hauptanspruch materiell-rechtlich abhängig neben demselben erhoben wird und die beteiligten Parteien identisch sind (BGH MDR 76, 649; NJW 98, 2060 [BGH 25.03.1998 - VIII ZR 298/97]; Stuttg NJW-RR 11, 714 [OLG Stuttgart 17.01.2011 - 13 W 76/10]). Auf den Ausgangssachverhalt kommt es nicht an. Wird etwa neben einem Anlagebetrag auch das Agio zurückgefordert, liegt keine Nebenforderung vor, weil es nicht von der Rückforderung der Anlage abhängig ist.
Abhängigkeit liegt auch dann vor, wenn die Zinsen auf Rechtsmittel der einen Partei und die Hauptforderung auf Rechtsmittel des Gegners im Streit sind (BGH MDR 13, 1316) und soweit vorgerichtliche Kosten für den rechtshängigen Anspruch entstanden sind (BGH GRUR-RR 13, 448; NJW 20, 3174). Auf die Frage, ob die Zinsen kapitalisiert oder als fortlaufender Prozentanteil geltend gemacht werden, kommt es nicht an (BGH NJW-RR 95, 706; BGHR ZPO § 4 Abs 1 Nebenforderung 1; OLGR Köln 99, 404; VersR 01, 736). Kosten und Zinsen auf eine Hauptforderung, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist, sind keine Nebenforderung, weil es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (BGH NJW 20, 3174 [BGH 07.07.2020 - VI ZB 66/19]). Ist die Hauptforderung nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits, handelt es sich um eine emanzipierte Nebenforderung. Diese wird nunmehr zur Hauptforderung (BGH JurBüro 08, 202; VersR 09, 806; MDR 11, 810 = NJW-RR 11, 1285: ›emanzipierte‹ Nebenforderung). Das gilt insb bei Teilerledigung nach Leistung alleine auf die Hauptforderung (BGH VersR 08, 557: vorgerichtliche Kosten; MDR 12, 738: Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten; BGH NJW 15, 3173: Zinsen; § 3 Rz 123, 126). Bsp: Der Kl verlangt Zahlung von 10.000 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 1.7.2015; nach Teilzahlung des Beklagten auf die Hauptforderung in Höhe von 5.000 EUR am 31.12.15 und übereinstimmender Erledigung verlangt der Kl Zahlung von 5.000 EUR zuzüglich 400 EUR kapitalisierter Zinsen für 2015 und 8 % Zinsen seit dem 1.1.16. Der Streitwert beläuft sich auf 5.200 EUR, da aufgelaufene Zinsen auf die bezahlten 5.000 EUR für 2015 (= 200 EUR) nicht mehr Nebenforderung sind. Entspr gilt für vorgerichtliche Kosten (BGH NJW 08, 999; FamRZ 09, 867; NJW 14, 3100). Vgl auch § 37 II FamGKG. Bei Klage auf Herausgabe eines Grundstücks gegen den Pächter und Herausgabe der Früchte gegen den Unterpächter sind die Werte zu addieren, soweit es die sachliche Zuständigkeit betrifft und Gebühren für die gesamte Klage anfallen. Diese Grundsätze gelten für alle Streitwertarten (BGH GRUR-RR 13, 448).
c) Prozessualer Rahmen.
Rn 13
Der prozessuale Rahmen, in dem der Zinsanspruch zum Streit gestellt wird, hat auf die Anwendung von § 4 keinen Einfluss (BGH MDR 13, 136 [BGH 20.11.2012 - X ZR 108/10]: Zinsen werden mit der Berufung verlangt, die Hauptforderung steht aufgrund der Berufung des Gegners im Streit = Nebenforderung). Bei Rechtsmittel des Beklagten gegen die Verurteilung in der Hauptsache und zugleich Rechtsmittel des Klägers alleine zwecks Erhöhung der Zinsforderung kommt es insoweit nicht zur Werterhöhung (Kobl NJW-RR 07, 2 [OLG Koblenz 10.08.2006 - 7 UF 850/05]: Berufung). Gleiches gilt in Fällen der auf Begleichung weiterer Nebenforderung gerichteten Anschlussberufung (BGH NJW-RR 95, 706 [BGH 18.01.1995 - XII ZB 204/94]; Köln JurBüro 82, 912; Hamm JurBüro 88, 1550; BayObLG WuM 89, 470). Ist eine Nebenforderung alleiniger Gegenstand des Rechtsmittels, ist sie als Hauptsache zu bewerten (Brandbg MDR 01, 588 [OLG Brandenb...