Prof. Dr. Christian Katzenmeier
Gesetzestext
(1) 1Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozessgericht. 2Es kann sich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken. 3An Stelle der zuerst ernannten Sachverständigen kann es andere ernennen.
(2) Vor der Ernennung können die Parteien zur Person des Sachverständigen gehört werden.
(3) Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern.
(4) Das Gericht kann die Parteien auffordern, Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden.
(5) Einigen sich die Parteien über bestimmte Personen als Sachverständige, so hat das Gericht dieser Einigung Folge zu geben; das Gericht kann jedoch die Wahl der Parteien auf eine bestimmte Anzahl beschränken.
A. Normzweck.
Rn 1
Nach Abs 1 hat das Gericht das Recht und die Pflicht der Sachverständigenauswahl. Abs 2 sieht die Möglichkeit vor, die Parteien vor Ernennung des SV anzuhören. Abs 3 ordnet die vorrangige Auswahl öffentlich bestellter SV an. Durch die öffentliche Bestellung soll es dem Gericht erleichtert werden, sachkundige und zuverlässige SV zu finden. Ein besonderer Vorteil ergibt sich durch forensische Erfahrung.
Abs 4 schützt die Parteien und kann dem Gericht Hilfestellung bei der Auswahl bieten. Die Vorrangigkeit einer Einigung der Parteien (Abs 5) entspricht der Verhandlungsmaxime.
B. Einzelerläuterungen.
I. Abs 1.
1. Auswahl.
Rn 2
Das Gericht bestimmt vorbehaltlich des Abs 5 nach pflichtgemäßem Ermessen die Anzahl der SV, die Abgabe gemeinschaftlicher oder getrennter Gutachten (vgl § 411 Rn 7). Es wählt den Fachbereich (vgl BGH MDR 98, 488 [BGH 16.09.1997 - X ZR 54/95]) und die konkrete(n) Person(en) aus (vgl BGH NJW 09, 1209, 1210 = MedR 10, 181, 182 [BGH 18.11.2008 - VI ZR 198/07]). Auf Ansehen und Vertrauen des SV bei den Parteien ist Rücksicht zu nehmen (zum Ablehnungsrecht s § 406). Die für die Auswahl erforderliche Sachkunde hat sich das Gericht selbst anzueignen. Einen ›Auswahlgutachter‹ darf das Gericht nicht einsetzen (Kobl VRS 36, 17, 18); es darf nicht delegieren (s aber § 405), sich aber beraten lassen (zB von berufsständigen Institutionen; Sachverständigenverzeichnis; näher Ulrich SV Rz 166). Auch kann bei dem in Aussicht genommenen SV vor Ernennung etwa zur Neutralität und dem Fachgebiet angefragt werden (s § 404a Rn 4). Das Gericht darf die Auswahlentscheidung nicht (etwa auf die Leitung eines Instituts, einer Klinik) übertragen (str; München NJW 68, 202; Ddorf FamRZ 89, 1101; St/J/Berger § 404 Rz 16 f; Zö/Greger vor §§ 402 ff Rz 7; aA BVerwG NJW 69, 1591; OVG Koblenz VersR 98, 897; Ulrich/Ulrich Die SV und ihr Honorar S 335; vgl Rn 6 und Rn 8). Ebenso wenig darf einem SV die Auswahl eines Mitgutachters überlassen werden, wenn seine eigene Fachkunde nicht ausreicht (Stuttg Justiz 75, 273 – LS). Findet das Gericht unter Ausschöpfung aller bekannten Erkenntnisquellen keinen geeigneten Sachverständigen, kann es unter den Voraussetzungen des § 356 von einer Beweiserhebung absehen (BGH NJW 17, 2354, 2355 m Anm Huber).
2. Verfahren.
Rn 3
Die Ernennung erfolgt durch das Prozessgericht oder den beauftragten oder ersuchten Richter (§ 405) idR in einem Beweisbeschl (s §§ 358 ff, § 411 Rn 12; zur Anhörung s Rn 2). Der Beschl soll verkündet oder förmlich zugestellt werden (§ 329 II 2; BGH NJW 11, 520, 522 = MedR 11, 434, 435 [BGH 15.09.2010 - XII ZB 383/10]: zumindest formlose Mitteilung); Ablehnungsfrist § 406 II 1. Ist die Sachkunde nicht ohne Weiteres zu erkennen, so sind darüber Angaben zu machen (BayObLG NJW 86, 2892 [BayObLG 19.06.1986 - BReg 3 Z 165/85]).
3. Entlassung und Neuernennung.
Rn 4
Das Gericht kann den Beweisbeschl ohne Angabe von Gründen ändern und so den zunächst ernannten SV entlassen und einen neuen ernennen. Dabei ist es genauso frei wie bei der ursprünglichen Auswahl, Abs 1 S 3; zum Verfahren §§ 360, 405. S.a. §§ 408 Rn 1 ff, 412. Näheres s § 407a III.
4. Kreis der potenziellen SV.
a) Natürliche Personen.
Rn 5
Zu den Sachgebieten s vor §§ 402 ff Rn 5. Unterschieden werden ua öffentlich bestellte (s Rn 11) und vereidigte, amtlich anerkannte und ›freie‹ SV. In Betracht kommen auch angestellte SV einer Sachverständigenorganisation sowie Mitarbeiter von Universitätsinstitutionen und behördenangehörige SV. Bei letzteren sind die dienstrechtlichen Maßgaben zu beachten, insb zu Nebentätigkeit und Verschwiegenheit (s § 408; unbeachtlich soll hingegen das ärztliche Berufsgeheimnis sein, BGH NJW 11, 520, 521 = MedR 11, 434, 435 m abl Anm Schmidt-Recla = FamRZ 10, 1726 mit zust Anm Müther; zust auch Petit FamRZ 13, 593 mwN zur SV-Auswahl in Unterbringungssachen).
b) Behördengutachten und Gutachten sonstiger öffentlicher oder privater Einrichtungen.
Rn 6
aa) Auch wenn die ZPO davon ausgeht, dass der SV eine natürliche Person ist (vgl etwa §§ 408, 410), ist die Beauftragung einer Behörde etc zulässig, soweit die Begutachtung zu deren Aufgabenkreis gehört (Fachbehörden, Bsp s.u. Rn 11). Dies ist tw ausdrücklich bestimmt (zB Patentamt s.u. Rn 11, § 14 III RVG), iÜ ganz überwiegend anerkannt (BGHZ 89, 114, 119 = NJW 84, 438; 98, 3355; MDR 64, 223; RGZ 44, 149; ggf mit Modifizierungen der §§ ...