Prof. Dr. Christian Katzenmeier
1. Ermessen.
Rn 3
Die Anordnung steht grds im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH NJW 99, 1778 f [BGH 16.03.1999 - VI ZR 34/98]). Einwendungen der Parteien sind sorgfältig zu würdigen (BGH NJW 86, 1928 [BGH 06.03.1986 - III ZR 245/84]). Die richterliche Überprüfung und Beurteilung des Sachverständigengutachtens (s.a. vor §§ 402 ff Rn 4, § 411 Rn 17–25) kann bei geringfügigen Mängeln ergeben, dass das Gericht zu den erforderlichen rechtlichen Wertungen gleichwohl imstande ist, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (BGH GRUR 10, 410, 413 [BGH 26.01.2010 - X ZR 25/06] zur Patentauslegung).
2. Rechtspflicht.
Rn 4
Unter Umständen besteht eine Pflicht zur Einholung eines neuen Gutachtens. Etwa wenn an der Sachkunde des bisherigen Gutachters Zweifel bestehen, wenn das vorliegende Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, Widersprüche enthält oder wenn der neue SV über bessere Forschungsmittel (oder -methoden) verfügt (BGHZ 53, 245, 258 = NJW 70, 946, 949; VersR 11, 1171, 1172; NJW-RR 11, 1459 mwN; BVerwG NJW 09, 2614; KG VersR 04, 1193), des Weiteren wenn das vorliegende Gutachten unvollständig ist (BGH NJW 96, 730), neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen (BGH NJW 64, 1184; Kobl VersR 10, 204) oder sich Rechtslage/Rspr geändert haben (BVerwG NVwZ-RR 13, 620). Vorrangig kann eine Ergänzung des schriftlichen Gutachtens einzuholen oder der SV zur mündlichen Erläuterung zu laden sein (zB bei Widerspruch zu einem später eingereichten Privatgutachten, vgl BGH VersR 20, 639; NJW 02, 1651, 1654; NJW 01, 77, 78; s § 411 Rn 17–25; gewichtige Zweifel am Erstgutachter erlauben aber die sofortige Anordnung der Neubegutachtung, BGH NJW 11, 852, 854). Führt die Befragung nicht zur Klärung der Defizite, so ist ein neues Gutachten einzuholen (BGH NJW 17, 3661; VersR 09, 499, 500; NJW 01, 1787, 1788). Bei Widersprüchen zwischen mehreren Gutachten (auch zu Privatgutachten, vor §§ 402 ff Rn 9) kann ein ›Obergutachten‹ (zur Terminologie Rn 1) eingeholt werden. Dies ist jedoch nicht zwingend, vielmehr kann sich das Gericht in freier Beweiswürdigung (§ 286 I 1) einem SV anschließen. Dessen Gutachten muss aber vollständig, überzeugend und in sich widerspruchsfrei sein, zudem muss dem Urt einleuchtend und logisch nachvollziehbar zu entnehmen sein, aus welchen Gründen das Gericht den anderen Gutachten nicht gefolgt ist (stRspr: BGH VersR 11, 552; 09, 817; 09, 518, 519; 09, 492, 494), und dass diese Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist (andernfalls droht die Ablehnung des prozessleitenden Richters als befangen, Karlsr VersR 11, 1284 m Anm Jahns). Die Einholung eines Obergutachtens kann aber geboten sein, wenn die Begutachtung besonders schwierige Sachfragen betrifft (vgl BGH NJW 62, 676) oder die vorhandenen Gutachten grobe Mängel aufweisen (BGHZ 10, 266 = NJW 53, 1342). Ein Antrag auf erneute Begutachtung kann entspr § 244 IV 2 StPO abgelehnt werden, wenn durch das oder die früheren Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (BGHZ 53, 245, 258 f = NJW 70, 946, 949; restriktiv BGH[St] NJW 10, 1214 m Anm Hoffmann/Wendler = JZ 10, 474 [BGH 27.01.2010 - 2 StR 535/09] m Anm Eisenberg). Allg zur Ablehnung von Sachverständigenbeweisanträgen s § 403 Rn 5, dort auch zur Entbehrlichkeit bei eigener Sachkunde des Gerichts. Zur Vermeidung widersprüchlichen Verhaltens ist insoweit allerdings Zurückhaltung geboten, wenn das Gericht zuvor ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, weil es sich die erforderliche Sachkunde selbst nicht zubilligte.