1. Abgrenzung zur öffentlichen Urkunde.
Rn 3
Privaturkunden iSd § 416 sind alle Urkunden, die nicht öffentliche Urkunde sind. Gemeint sind in erster Linie Urkunden, die von einer Privatperson ausgestellt wurden. Aber auch Urkunden, die als öffentliche Urkunden errichtet werden sollten, aber wegen eines Formmangels keine öffentliche Urkunde sind, erfüllen den Begriff der Privaturkunde (BGHZ 37, 79, 90 = NJW 62, 1152; MüKoZPO/Schreiber § 416 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 416 Rz 1; Zö/Feskorn § 416 Rz 1; HK-ZPO/Siebert § 415 Rz 8, § 416 Rz 2). Bei öffentlich beglaubigten Urkunden sind Urkundstext und Beglaubigungsvermerk zu unterscheiden. Öffentliche Urkunde ist nur der Beglaubigungsvermerk, der sich auf die Unterschrift oder das Handzeichen bezieht. Der darüber stehende Urkundstext bleibt trotz der öffentlichen Beglaubigung der Unterschrift eine Privaturkunde (s § 415 Rn 18). Wird ein eigenhändiges Testament eröffnet, ist die Eröffnungsniederschrift öffentliche Urkunde; das Testament selbst bleibt aber Privaturkunde (München NotBZ 19, 64, 65 [OLG München 25.07.2018 - 34 Wx 174/18]). Anwaltliche Empfangsbekenntnisse sind Privaturkunden, werden aber hinsichtlich ihrer Beweiswirkung wie öffentliche Urkunden behandelt, indem auch hier voller Beweis der Unrichtigkeit geführt werden muss (vgl BGH NJW-RR 18, 1400 [BGH 11.09.2018 - XI ZB 4/17]; NJW 12, 2117 [BGH 19.04.2012 - IX ZB 303/11]; s § 415 Rn 29; § 418 Rn 12).
2. Unterzeichnung durch die Aussteller.
a) Bedeutung des Merkmals.
Rn 4
Da die Beweiskraft der Privaturkunde über eine Erklärung sich auf die Abgabe der Erklärung durch den Aussteller bezieht, muss die Privaturkunde notwendigerweise einen Aussteller erkennen lassen. Die Beweiswirkung hängt deshalb davon ab, dass die Urkunde von den Ausstellern unterzeichnet wurde, wobei die Unterzeichnung durch Unterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen erfolgen kann.
Rn 5
Die Funktion, die der Unterzeichnung durch den Aussteller im Urkundenbeweisrecht zukommt, unterscheidet sich von der Funktion des Merkmals Unterzeichnung in § 126 BGB. Bei § 416 dient das Erfordernis der Unterzeichnung dem Zweck, die Authentizität der Erklärung zu gewährleisten (MüKoZPO/Schreiber § 416 Rz 7; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 416 Rz 6). Es ist somit ein notwendiges, aber auch ein hinreichendes Kriterium der Unterzeichnung, dass sie den Aussteller der Urkunde zu erkennen gibt. Dagegen genügt eine Urkunde nur dann der Schriftform nach § 126 BGB, wenn sie von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet wurde. Mit dem Erfordernis der eigenhändigen Namensunterschrift formuliert § 126 BGB strengere Vorgaben als § 416, so dass eine Urkunde, die den Anforderungen an die Erfüllung der Schriftform gem § 126 BGB nicht genügt, gleichwohl Instrument eines Urkundenbeweises sein kann (s im Einzelnen Rn 8). Die Namensunterschrift ist im Urkundenbeweisrecht keine Voraussetzung der formellen Beweiskraft; eine vorhandene Namensunterschrift ist vielmehr nur bei der (vorrangigen) Prüfung der Echtheit der Urkunde von Bedeutung (§§ 439, 440). Mit der Namensunterschrift wird die Echtheit des Urkundeninhalts gesichert (MüKoBGB/Einsele § 126 Rz 17) und damit eine Voraussetzung für die Beweiswirkung der Urkunde geschaffen.
b) Aussteller.
Rn 6
Da die formelle Beweiskraft der Urkunde sich auf die Abgabe der Erklärung durch den Aussteller bezieht, ist Aussteller derjenige, der die Erklärung abgegeben hat, wobei es nicht entscheidend darauf ankommt, wer die Erklärung niedergeschrieben hat (Zö/Feskorn § 416 Rz 8). Entscheidend ist, dass die Unterzeichnung der in der Urkunde enthaltenen Erklärung mit Wissen und Wollen des Ausstellers erfolgt ist (Hambg 27.10.22 – 15 U 118/20; zur Unterzeichnung durch Dritte Rn 10). Die materiell-rechtliche Zuordnung der Erklärung spielt für die Eigenschaft als Aussteller der Urkunde keine Rolle; gleiches gilt für materiell-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen (MüKoZPO/Schreiber § 416 Rz 4).
c) Unterschrift.
Rn 7
Die Urkunde muss von den Ausstellern unterzeichnet sein, um formell Beweis für die Abgabe der Erklärung durch die Aussteller zu erbringen (Urkundeneigenschaft verneint für nicht unterschriebenen Sparbucheintrag: München MDR 08, 1353). Dabei ist es für die Beweiskraft der Urkunde unerheblich, ob die Unterschrift vor oder nach Erstellung des Textes geleistet wurde (BGHZ 22, 128, 132; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 416 Rz 10; Zö/Feskorn § 416 Rz 4, 9; vgl auch Musielak/Voit/Huber § 416 Rz 2 aE). Auch eine Blankounterschrift ist eine hinreichende Unterzeichnung (BGH NJW-RR 15, 819, 821; BGHZ 104, 172, 176 = NJW 88, 2741; BGH NJW 86, 3086; s § 440 Rn 7).
aa) Abgrenzung zum Erfordernis der Namensunterschrift.
Rn 8
Anders als § 126 BGB verlangt § 416 keine Namensunterschrift (s aber § 440). Erforderlich ist nur, dass der Aussteller, der die Erklärung unterzeichnet hat, sich unter Zuhilfenahme des Urkundeninhalts zweifelsfrei feststellen lässt (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 416 Rz 6; MüKoZPO/Schreiber § 416 Rz 7; Zö/Feskorn§ 416 Rz 3). Im Regelfall kann der Aussteller jedenfalls dann identifiziert werden, wenn er mit seinem Familiennamen unterzeichnet hat, ...