Rn 7
Auch Zeugnisurkunden genießen formelle Beweiskraft. Soweit die Beweiskraft der Urkunde reicht, ist die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 286) ausgeschlossen (zur materiellen Beweiskraft s § 415 Rn 7).
1. Umfang der Beweiskraft.
Rn 8
Die öffentliche Urkunde beweist alle in ihr bezeugten Tatsachen, nicht dagegen subjektive Eindrücke oder Schlussfolgerungen der Behörde oder der Urkundsperson (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 19, s.a. Rn 4; vgl BGH NJW 14, 292, 293 [BGH 06.11.2013 - VIII ZR 346/12] [Mietspiegel]). Es wird bezeugt, dass die Tatsachen wie beurkundet stattgefunden haben; eine negative Beweiskraft dahin, dass nicht protokollierte Erklärungen nicht stattgefunden haben, entfaltet die Urkunde nicht (BGH NJW 20, 1800, 1807 [BGH 12.03.2020 - IX ZR 125/17]). Die formelle Beweiskraft der Urkunde erfasst auch Ort und Zeit der Urkundenausstellung (MüKoZPO/Schreiber § 418 Rz 8; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 18; St/J/Berger § 418 Rz 5). Bei der Unterschriftsbeglaubigung ist wegen der hierzu erforderlichen Identitätsfeststellung die Echtheit der Unterschrift bewiesen (vgl § 415 Rn 18, § 440 Rn 5). Die Beglaubigung einer Abschrift der bei der Beglaubigung vorliegenden Urschrift erbringt auch Beweis dafür, dass die Urschrift vorgelegen hat (BGH NJOZ 21, 554, 556). Das notarielle Testament beweist neben der Abgabe der Erklärung (Urkunde über eine Erklärung gem § 415) als Zeugnisurkunde iSv § 418 I die Identität des Testators und die Feststellung der eigenhändigen Unterschriftsleistung, nicht aber die auf einer subjektiven Bewertung der Wahrnehmung beruhenden sonstigen Feststellungen des Notars zur Geschäfts- oder Testierfähigkeit (BayObLG DNotZ 75, 555 [BGH 18.10.1974 - V ZR 120/73]; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 3, 4; Zö/Feskorn § 418 Rz 1, 3).
2. Beweiskraft von Zustellungsurkunden.
Rn 9
Zustellungsurkunden (§ 182) beweisen den beurkundeten Vorgang der Zustellung in seinem äußeren Ablauf, also insb die Art der Zustellung, den Ort und die Zeit der Zustellung (Zö/Feskorn § 418 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 11; vgl auch BGH NJW 06, 150 [BGH 10.11.2005 - III ZR 104/05]; BFH 25.3.10 V B 151/09; 6.12.11 XI B 44/11; 21.1.15 X R 16/12). Genügt nach dem am Zustellungsort geltenden Recht für die Zustellung eine Übergabe an den ›personal service‹ des Zustellungsempfängers, so steht dem Zustellungsnachweis nicht entgegen, dass im Zustellungszeugnis nicht angegeben wurde, an welche natürliche Person die Übergabe erfolgte (BGH NJW 13, 387, 389 [BGH 12.12.2012 - VIII ZR 307/11]). Die Beweiswirkung gilt trotz der Privatisierung der Post auch für Postzustellungsurkunden, da die Lizenznehmer nach dem PostG, die wie die Post AG gem § 33 I PostG verpflichtet sind, förmliche Zustellungen nach den Vorschriften der Prozessordnungen und den Gesetzen über die Verwaltungszustellung vorzunehmen, hierfür als beliehene Unternehmer mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet sind (vgl § 415 Rn 14). Für Zustellungen im Privatrechtsverkehr gilt dies nicht (Karcher/Mengestu DB 21, 565, 567 zum Einwurf-Einschreiben).
Rn 10
Sonstige Umstände, die zwar zu den Voraussetzungen der Zustellung gehören, nicht aber den wahrnehmbaren Vorgang der Zustellung betreffen, nehmen an der formellen Beweiskraft der Urkunde nicht teil (vgl BGH GRUR 20, 776, 777 [BGH 12.03.2020 - I ZB 64/19]; NJW 18, 2802). So ist bspw nicht bewiesen, dass es sich bei dem Zustellungsort um eine Wohnung, ein Geschäftslokal oder eine Niederlassung des Empfängers handelt (BVerfG NJW 92, 224, 225; NJW-RR 92, 1084, 1085; BGH NJW 92, 1963; NJW 18, 2802; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 12; St/J/Berger § 418 Rz 8; Zö/Feskorn § 418 Rz 3). Vielmehr kommt der Zustellungsurkunde insofern lediglich Indizfunktion zu (BGH NJW 04, 2386, 2387; NJW 11, 2440, 2441 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09]). Ebenso wenig erbringt die Zustellungsurkunde dafür Beweis, dass die Person, der eine Sendung übergeben wurde, Bediensteter des Adressaten ist; auch insofern kommt der Zustellungsurkunde lediglich eine Indizfunktion zu (BGH NJW 18, 2802, 2803 [BGH 11.07.2018 - XII ZB 138/18]; NJW 04, 2386, 2387 [BGH 06.05.2004 - IX ZB 43/03]).
3. Eingangsstempel, Empfangsbekenntnisse.
Rn 11
Gerichtliche und behördliche Eingangsstempel erbringen Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens oder eines Schriftsatzes (BGH NJW 00, 1872, 1873; NJW 98, 461 [BGH 30.10.1997 - VII ZB 19/97]; NJW-RR 01, 280 [BGH 05.07.2000 - XII ZB 110/00]; NJW-RR 05, 75; NJW 17, 2285, 2286 [BGH 31.05.2017 - VIII ZR 224/16]; MDR 20, 627 [BGH 28.01.2020 - VI ZB 38/17]). Der Eingangsstempel auf einem aus einem Telefaxgerät entnommenen Ausdruck dokumentiert jedoch regelmäßig nur den Zeitpunkt der Entnahme des Ausdrucks, nicht den Zeitpunkt der Speicherung, da der mit dem Posteingang betraute Beamte den Vorgang der Speicherung nicht wahrnimmt und damit nicht bezeugen kann (BGH 15.9.09 – XI ZB 29/08). Durch ein Empfangsbekenntnis wird bewiesen, dass und zu welchem Zeitpunkt das in dem Empfangsbekenntnis bezeichnete Schriftstück als zugestellt entgegengenommen wurde (BGH VersR 94, 371; NJW 01, 2722, 2723; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 ...