Rn 2
Ein Urkundenmangel iSv § 419 ist ein Mangel im äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, der auf die Möglichkeit einer nachträglichen Veränderung entgegen dem Willen des Ausstellers oder auf einen Aufhebungswillen schließen lässt (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 6; vgl auch LG Stuttgart WuM 21, 321). Der äußere Mangel muss sich also immer aus der Urkunde selbst ergeben.
I. Veränderungen der Urkunde.
Rn 3
Veränderungen der Urkunde, die die formelle Beweiskraft außer Kraft setzen, sind zum einen die Veränderungen von Menschenhand wie Streichungen (RGZ 129, 165, 167; MüKoZPO/Schreiber § 419 Rz 2), Einschübe (BGH NJW 94, 2768 [BGH 15.04.1994 - V ZR 175/92]; BGH NJW-RR 89, 1323 [BGH 11.05.1989 - III ZR 2/88]; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 10) oder Änderung von Zahlen. Hierzu können auch Auffälligkeiten im Schriftbild zählen, wenn die Auffälligkeit auf nachträgliche Veränderungen schließen lässt (Musielak/Voit/Huber § 419 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 7). Die Veränderung der Urkunde kann zum anderen eine natürliche Ursache haben, zB Verblassen der Schrift, Flecken usw (MüKoZPO/Schreiber § 419 Rz 2; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 7). Ob die Urkunde an einem die formelle Beweiskraft aufhebenden äußerlichen Mangel leidet, bestimmt sich objektiv, also unabhängig vom Parteiwillen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 8; MüKoZPO/Schreiber § 419 Rz 3).
II. Veränderungen ohne Beweiskraftverlust.
Rn 4
Eine Privaturkunde ist dann nicht mangelhaft, wenn der Aussteller die Veränderung genehmigt und sich diese Genehmigung aus der Urkunde selbst ergibt. Da Privaturkunden mit der Beweiskraft des § 416 ausgestellt werden können, muss der Aussteller die Urkunde folgerichtig auch ändern können, ohne dass damit ihre Beweiskraft betroffen würde (BGH NJW 74, 1083, 1084; MüKoZPO/Schreiber § 419 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 419 Rz 13; aA St/J/Berger § 419 Rz 1: § 286).
Rn 5
Eine öffentliche Urkunde wird ohne Verlust der Beweiskraft geändert, wenn das für die Änderung vorgesehene Verfahren eingehalten ist (vgl BGH DNotZ 56, 643, 644 f [BGH 22.02.1956 - V ZR 114/54]; 95, 27, 28 [BGH 28.01.1994 - V ZR 131/92]), also etwa für die Protokollberichtigung die Anforderungen des § 164, für die Urteilsberichtigung § 319. Das Verfahren zur Änderung notarieller Urkunden richtet sich nach § 44a BeurkG. Wurde das Verfahren für eine Änderung der Urkunde nicht eingehalten, wird die fehlerhafte Änderung nicht von der Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erfasst; mangels Richtigkeitsvermutung ist die Urkunde frei zu würdigen (Ddorf RNotZ 14, 191, 193). Obwohl § 44a BeurkG an sich sowohl Beurkundungen nach den §§ 8 ff BeurkG als auch Tatsachenurkunden nach den §§ 36, 37 BeurkG erfasst, sind die hier geregelten Änderungsverfahren doch in erster Linie auf die Beurkundung von Willenserklärungen (Urkunden über Erklärungen iSv § 415) zugeschnitten. § 44a BeurkG gilt nicht für Textberichtigungen bei einer Unterschriftsbeglaubigung (s hierzu § 440 Rn 6).