Gesetzestext
Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen des Gegners, so wird der Beweis durch den Antrag angetreten, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben.
A. Anwendungsbereich.
Rn 1
Die Vorschriften über den Beweisantritt beim Urkundenbeweis differenzieren danach, ob der Beweisführer oder der Beweisgegner die beweiserhebliche Urkunde ›in Händen hält‹, ob die Urkunde sich im Besitz eines Dritten oder ›in den Händen‹ eine Behörde oder eines Beamten befindet. § 421 regelt die Art des Beweisantritts in den Fällen, in denen die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Urkunde vom Beweisgegner ausgeübt wird (zur Anordnung der Urkundenvorlage vAw nach § 142s § 420 Rn. 2). Hier genügt für den Beweisantritt der Antrag, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben. Befolgt der Gegner die Anordnung des Gerichts nicht, so bewertet das Gesetz dieses Verhalten als Beweisvereitelung (s § 427), die dazu führen kann, dass das Gericht die Behauptung des Beweisführers als bewiesen erachtet.
Im Urkundenprozess ist der Beweisantritt durch Vorlegungsantrag unzulässig (BGH NJW 94, 3295, 3296 [BGH 09.06.1994 - IX ZR 125/93]; MüKoZPO/Schreiber § 421 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 3; St/J/Berger § 421 Rz 9).
B. Voraussetzungen.
I. Beweisgegner.
Rn 2
Beweisgegner (und nicht Dritte) sind nach überwiegender Ansicht der Gegner iSd formellen Parteibegriffs sowie Streithelfer, die über § 69 als Streitgenossen der Hauptpartei gelten (St/J/Berger § 421 Rz 3; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 4; Musielak/Voit/Huber § 421 Rz 3; weitergehend MüKoZPO/Schreiber § 421 Rz 3: ›jeder, der kraft seiner prozessualen Beteiligung Prozesshandlungen wirksam vornehmen kann‹). Bei mehreren Streitgenossen ist die Vorlegungspflicht für jeden Streitgenossen getrennt festzustellen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 4).
Rn 3
Wird ein Vertreter idS als Dritter angesehen, stellt sich zwar das Problem, dass die §§ 421 bis 427 bezogen auf diese Person nicht angewendet werden und sich die Beweislage des Beweisführers dadurch verschlechtern könnte. Dieses Problem lässt sich aber dadurch lösen, dass die tatsächliche Verfügungsgewalt bestimmter Personen über die Urkunde dem Beweisgegner als eigene Verfügungsgewalt zugerechnet wird (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 5; s Rn 4).
II. Tatsächliche Verfügungsgewalt des Beweisgegners.
Rn 4
Der Beweisantritt nach § 421 setzt voraus, dass der Beweisgegner die Urkunde in den Händen hält. Das heißt, dass der Beweisgegner die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Urkunde ausüben muss (MüKoZPO/Schreiber § 421 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 6). Er ist Urkundenbesitzer iSd Prozessrechts, wenn er die unmittelbare Sachherrschaft entweder bereits selbst ausübt oder aber über eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit verfügt (Musielak/Voit/Huber § 421 Rz 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 6). Urkundenbesitz hat der Beweisgegner auch dann, wenn die Urkunde sich in der Verfügungsgewalt seines gesetzlichen Vertreters befindet (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 5; St/J/Berger § 421 Rz 4; wohl auch Anders/Gehle/Gehle ZPO § 421 Rz 3); der Vertreter selbst ist Dritter (s Rn 3).
Befindet sich die Originalurkunde in der Verwahrung einer Behörde oder eines Notars, muss der Beweisantritt grds ebenfalls durch Vorlegungsantrag nach § 421 (und nicht nach § 432) erfolgen, wenn der Beweisgegner ein (ermessensunabhängiges) Recht auf Erteilung einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des Originals hat. Ausfertigungen von notariellen elektronischen Urschriften werden durch einen Ausdruck der elektronischen Urschrift erstellt (s § 49 I Nr 2 BeurkG). Im Regelfall reicht die Vorlegung der beglaubigten Abschrift einer öffentlichen Urkunde für den Urkundenbeweis aus (s § 435 Rn 1). Muss der Beweisgegner erst einen rechtlichen Anspruch gegen den Gewahrsamsinhaber durchsetzen, um die Urkunde vorlegen zu können, dann ist der Gewahrsamsinhaber Dritter iSv § 428 (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 421 Rz 6).
III. Editionspflicht.
Rn 5
Neben der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Gegners wird für den Beweisantritt nach § 421 vorausgesetzt, dass der Gegner nach bürgerlichem Recht (§ 422) oder weil er sich selbst auf die Urkunde bezogen hat (§ 423) zur Vorlegung der Urkunde im Prozess verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem beweisbelasteten Gegner das für das Obsiegen im Prozess erforderliche Material zu verschaffen, über das der Gegner nicht bereits verfügt (BGH NJW 23, 1734, 1735 [BGH 16.03.2023 - III ZR 104/21]). Von der Editionspflicht des Gegners im Urkundenbeweisrecht muss die Verpflichtung zur Vorlage auf Anordnung des Gerichts nach Maßgabe des § 142 unterschieden werden (s § 420 Rn 2). In Kartellschadensersatzprozessen finden die Regelungen des Urkundenbeweisrechts nur nach Maßgabe des § 89d IV GWB Anwendung; die Vorschrift stellt sicher, dass das besondere Offenlegungsregime des GWB nicht durch andere Regelungen unterlaufen wird (vgl BTDrs 18/10207 S 105). Bei der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie (EU) 2020/1828 hat der Gesetzgeber zur Umsetzung des Art 18 der RL (Offenlegung von Beweismitteln) kein b...