1. Rechtsgrund, Inhalt, Durchsetzbarkeit.
Rn 3
Der materiell-rechtliche Anspruch, aus dem sich die Vorlegungspflicht ergibt, muss ein zivilrechtlicher Anspruch sein. Öffentlich-rechtliche Ansprüche gegen Behörden oder Gerichte (insb Auskunfts- und Einsichtnahmerechte) werden von § 422 nicht erfasst. Die Vorschrift kann allerdings entsprechend herangezogen werden, wenn der Beweisgegner gerade ein Träger öffentlicher Gewalt ist und der Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch sich aus dem öffentlichen Recht ergibt (MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 2; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 3).
Rn 4
Materiell-rechtliche Herausgabe- oder Vorlegungsansprüche können ihre Grundlage in Verträgen (Haupt- oder Nebenpflicht) oder in gesetzlichen Schuldverhältnissen (GoA, Delikt, ungerechtfertigte Bereicherung) haben. Möglich ist auch eine isolierte Vereinbarung der Herausgabe- oder Vorlegungspflicht nach § 311 BGB (RGZ 151, 203, 208; MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 6; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 6). Der materiell-rechtliche Anspruch, aus dem die prozessuale Vorlegungspflicht abgeleitet wird, muss inhaltlich umfassen, dass der Verpflichtete die Urkunde dem Prozessgericht (s aber § 434) zum Zweck der Einsichtnahme vorzulegen hat (MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 4). Es spielt keine Rolle, ob die Urkunde als Sache herauszugeben bzw vorzulegen ist (vgl §§ 809, 867, 1005 BGB) oder ob dem Beweisführer ein Anspruch auf Einsichtnahme zusteht (vgl § 810 BGB), aus dem sich ergibt, dass die Urkunde wegen ihres rechtsgeschäftlichen Gehalts vorzulegen ist (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 5, 7). Die prozessuale Vorlegungspflicht kann ebenfalls auf einen materiellen Rechnungslegungsanspruch gestützt werden, soweit der Anspruch die Pflicht zur Vorlage von Belegen (vgl § 259 BGB) erfasst (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 8; MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 2; St/J/Berger § 422 Rz 10).
Rn 5
Die Anordnung der Urkundenvorlage nach Maßgabe des § 422 setzt voraus, dass dem materiell-rechtlichen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruch keine Einwendungen oder Einreden entgegenstehen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 11; MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 3). Zurückbehaltungsrechte stehen der prozessualen Vorlegungspflicht nicht entgegen, weil sie den materiell-rechtlichen Anspruch selbst unberührt lassen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 11). In Kartellschadensersatzprozessen sind die Einschränkungen nach § 89d IV GWB zu beachten; die Vorschrift stellt sicher, dass das besondere Offenlegungsregime des GWB nicht durch andere Regelungen unterlaufen wird (vgl BTDrs 18/10207 S 105).
2. Geheimhaltungsinteresse des Beweisgegners.
Rn 6
Das Beweisinteresse des Beweisführers kann mit einem Geheimhaltungsinteresse des Beweisgegners kollidieren. Ergibt sich bei der Prüfung des materiell-rechtlichen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruchs, auf den der Beweisführer die prozessuale Vorlegungspflicht stützt, dass der materiell-rechtliche Anspruch wegen eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses des Beweisgegners nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu begrenzen ist, dann liegen die Voraussetzungen des § 422 nicht vor, so dass eine gerichtliche Vorlegungsanordnung nicht ergehen kann (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 16; vgl auch MüKoZPO/Schreiber § 422 Rz 5, der den Einwand unzulässiger Rechtsausübung gegen den materiell-rechtlichen Anspruch jedoch auf eine analoge Anwendung der §§ 383 I, 384 stützt, s.a. Rn 8). Ein Amtsträger kann sich uU auf eine Geheimhaltungspflicht berufen, die der Urkundenvorlage entgegensteht (zu § 18 BNotO: BGH DNotZ 14, 837, 838 f [BGH 17.07.2014 - III ZR 514/13]; NJOZ 22, 1142, 1145). Ob ein Geheimhaltungsinteresse idS berücksichtigungswert ist oder nicht, richtet sich iÜ auch danach, unter welchen Umständen die Vorlegung stattfinden soll. Im Prozess können zur Wahrung eines Geheimhaltungsinteresses besondere Vorkehrungen getroffen werden (vgl §§ 172 Nr 2, 173 II, 174 III GVG). Diese Möglichkeit ist bei der Abwägung, ob dem Beweisinteresse oder dem Geheimhaltungsinteresse Vorrang gebührt, zu berücksichtigen (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 422 Rz 16).