Prof. Dr. Markus Gehrlein
I. Begriff.
Rn 33
Die Prozessführungsbefugnis (krit zu diesem Rechtsinstitut Stamm ZZP 132 (2019), 411 ff) ist streng von den Begriffen der Aktiv- und Passivlegitimation zu trennen. Die im materiellen Recht angesiedelte und die Begründetheit der Klage betreffende Sachlegitimation besagt, dass der Gläubiger einer Forderung aktiv und der Schuldner der Forderung passiv legitimiert ist. Ist nicht der Kl, sondern ein Dritter Gläubiger der eingeklagten Forderung, wird die Klage mangels Aktivlegitimation als unbegründet abgewiesen. Ebenso wird eine Klage wegen fehlender Passivlegitimation als unbegründet abgewiesen, wenn der Kl zwar Gläubiger, nicht aber der Bekl, sondern ein Dritter Forderungsschuldner ist. Die Prozessführungsbefugnis ist unproblematisch stets gegeben, wenn der Kl nach seinem Vorbringen ein in seiner Person begründetes eigenes Recht verfolgt. Der formelle Parteibegriff setzt den Kl jedoch auch in den Stand, ein fremdes Recht zum Gegenstand eines von ihm geführten Rechtsstreits zu machen. Da sich der Kl nicht nach eigenem Gutdünken zum Sachwalter fremder Interessen aufwerfen darf, ist in einem solchen Fall die Prozessführungsbefugnis als Gegenstück zur materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis an besondere Voraussetzungen geknüpft. Unter der Prozessführungsbefugnis ist die Befugnis zu verstehen, ohne eigene materiell-rechtliche Beziehung über das behauptete streitige fremde Recht als richtige Partei einen Prozess im eigenen Namen führen zu dürfen. Die Geltendmachung fremder Rechte wird als Prozessstandschaft bezeichnet: Beruht sie auf gesetzlicher Anordnung, handelt es sich um eine gesetzliche Prozessstandschaft, fußt sie auf einer Ermächtigung des Rechtsinhabers, liegt eine gewillkürte Prozessstandschaft vor. Die Prozessführungsbefugnis ist eine vAw zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung, die spätestens zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein muss und deren Fehlen zur Abweisung der Klage als unzulässig führt (BGHZ 131, 90 f; 100, 217, 219; 99, 344, 347). Die Prozessführungsbefugnis ist keine Prozesshandlungsvoraussetzung (BGHZ 31, 279 f); freilich wirken Prozesshandlungen einer nicht berechtigten Partei nicht zum Nachteil der tatsächlich prozessführungsbefugten Partei.
II. Gesetzliche Prozessstandschaft.
1. Prozessrechtliche Ermächtigung.
Rn 34
Veräußert der Kl die streitbefangene Sache oder tritt er die Klageforderung nach Rechtshängigkeit ab, verliert er zwar die Aktivlegitimation, ist aber gem § 265 berechtigt, in Prozessführungsbefugnis des Erwerbers bzw Zessionars den Rechtsstreit fortzusetzen. Zur Vermeidung einer Klageabweisung ist der Antrag auf Leistung an den nunmehr Berechtigten umzustellen (BGHZ 158, 295, 304 = NJW 04, 2152, 2154). Auch in den – nach Rechtshängigkeit verwirklichten – Fällen der Bestellung eines Nießbrauchs an dem streitbefangenen Gegenstand, seiner Verpfändung sowie der Pfändung und Überweisung der eingeklagten Forderung durch einen Gläubiger des Kl führt dieser den Rechtsstreit für den Gläubiger mit der Maßgabe fort, dass der Antrag auf Leistung an den Gläubiger lautet (BGH NJW 86, 3206 [BGH 12.03.1986 - VIII ZR 64/85]). § 265 ist bei einem Übergang gesetzlichen Unterhaltsforderungen (§ 94 I SGB XII) einschlägig (BGH NJW-RR 95, 1219). Nicht anwendbar ist die Bestimmung bei einem Wechsel oder einer Beendigung der Prozessführungsbefugnis (BGHZ 155, 38, 40 ff = NJW-RR 03, 1419). Erfährt der Bekl nach Rechtshängigkeit von einer bereits vor dem Prozess erfolgten Forderungsabtretung (Situation des § 407 II BGB), kann er entweder mangels Sachlegitimation Abweisung der Klage beantragen oder den Rechtsstreit mit dem Zedenten als Prozessstandschafter des Zessionars, dem die Übernahme des Prozesse verwehrt ist, fortführen (R/S/G § 46 Rz 31 f).
2. Materiell-rechtliche Ermächtigung.
Rn 35
Das durch §§ 1368, 1369 BGB begründete Revokationsrecht eines Ehegatten, die Unwirksamkeit von Verfügungen des anderen Ehegatten (§ 1365: Vermögen im ganzen; § 1369: Haushaltsgegenstände) geltend zu machen, ist eine Erscheinungsform der gesetzlichen Prozessstandschaft. Ebenso verhält es sich mit der Unterhaltsklage eines vertretungsberechtigten Elternteils für Unterhaltsansprüche des minderjährigen Kindes gegen den anderen Elternteil während des Getrenntlebens oder der Anhängigkeit der Ehesache (§ 1629 III; BGH NJW 83, 2084 [BGH 23.02.1983 - IVb ZR 359/81]). Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, so kann das Kind als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des nicht der Zustimmung des Antragsgegners bedürftigen gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten (BGH NJW 13, 2595 [BGH 19.06.2013 - XII ZB 39/11] Rz 7). Im Rahmen einer Gütergemeinschaft wird der Ehegatte, der das Gesamtgut verwaltet, in allen das Gesamtgut betreffenden gerichtlichen Verfahren als Prozessstandschafter tätig (§ 1422 BGB). Der nicht verwaltende Ehegatte ist in den Fällen der §§ 1428, 1429 S 2 zum Prozessstandschafter berufen. Der überlebende Ehegatte hat bei fortgesetzter Gütergemeinschaft für das Gesamtgut Prozessführungsbefugnis (§ 1487 BGB). Bei einer Erbenge...