Prof. Dr. Markus Gehrlein
1. Europäische Vereinigungen und Gesellschaften.
Rn 23
In nationales Recht transformierte EU-Richtlinien schaffen die Möglichkeit, europaweit gleichen Rechtsgrundlagen unterliegende Gesellschaften zu bilden. Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die freiberuflich, nicht gewerblich tätigen, mindestens zwei Mitgliedsstaaten angehörenden Personen offensteht, gilt als Handelsgesellschaft (§ 1 Hs 2 EWIV-AG). Sie ist folglich (§ 124 HGB) aktiv und passiv parteifähig. Ferner sind die Europäische Gesellschaft (SE) (SEEG v 22.12.04, BGBl I, 3675) und die Europäische Genossenschaft (SCE) (SCEAG v 14.8.06, BGBl I, 1911) parteifähig.
2. Gesellschaften aus EU-Mitgliedsstaaten.
Rn 24
Die nach deutschen IPR maßgebliche Sitztheorie knüpft im Unterschied zur Gründungstheorie, die auf die Rechtsordnung am Ort der Gründung abstellt, für die Beurteilung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Rechtsordnung an, wo die Gesellschaft tatsächlich ihren Verwaltungssitz unterhält. Danach verliert eine im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft im Falle ihrer Sitzverlegung ins Inland ihre Rechts- und Parteifähigkeit und bedarf zu deren (Wieder-)Erwerb einer Neugründung nach Maßgabe des Inlandsrechts (BGHZ 97, 269 = NJW 86, 2194). Da der EuGH (NJW 03, 3331 – Inspire Art; 02, 3614 – Überseering) die Rechtsfolgen der Sitztheorie als mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erachtet, ist sie jedenfalls für den Bereich des EU-Auslands obsolet. In Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung behalten im EU-Ausland wirksam gegründete Gesellschaften auch nach einer Sitzverlegung ins Inland ihre Rechts- und Parteifähigkeit (BGHZ 154, 185 = NJW 03, 1461: Niederländische ›BV‹; BGH NJW 05, 1648: Englische ›Ltd‹; NJW-RR 04, 1618 [BGH 05.07.2004 - II ZR 389/02]: US-Amerikanische ›InC‹). Diese Grundsätze gelten infolge des EWR-Abkommens auch für Gesellschaften der EFTA-Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein (BGHZ 164, 148 = NJW 05, 3351). Eine gelöschte Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts bleibt für die Verfolgung vermögenswerter Ansprüche parteifähig, benötigt allerdings als gesetzlichen Vertreter einen vom zuständigen liechtensteinischen Gericht zu bestellenden Beistand (Karlsr WM 13, 1276, 1277). Für eine in der Schweiz geschäftsansässige Aktiengesellschaft gilt das Ortsrecht, nach dessen Inhalt mit der Konkurseröffnung wegen der Löschung im Handelsregister die Parteifähigkeit untergeht (BGH GRUR 23, 1561 [BGH 27.07.2023 - I ZB 114/17] Rz 13 ff).
3. Zweiseitige Abkommen.
Rn 25
Vorrang ggü einer Anknüpfung nach dem IPR genießen zwischenstaatliche Abkommen (vgl PWW/Brödermann/Wegen Rz 36 f vor Art 27 EGBGB; MüKoBGB/Kindler IntGesR Rz 308). Im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist eine dort wirksam gegründete und noch bestehende Kapitalgesellschaft im Inland gleichgültig, wo sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befindet, rechtsfähig. Dies gilt auch dann, wenn in den Vereinigten Staaten keine nennenswerte Geschäftstätigkeit mehr entfaltet wird (BGHZ 153, 353 = NJW 03, 1607; BGHZ 159, 94, 100 = NJW 04, 2523 f; BGH NJW-RR 04, 1618; BB 04, 2595).
4. Drittstaaten.
Rn 26
Sofern es um die Rechts- und Parteifähigkeit außerhalb von EU und EFTA gegründeter Gesellschaften – die Isle of Man und die Kanalinseln gehören wohlbemerkt nicht zum EU-Bereich – geht und zwischenstaatliche Abkommen mit dem Gründungsstaat nicht getroffen sind, dürfte weiter die Sitztheorie und nicht die Gründungstheorie einschlägig sein (Kindler NJW 03, 1079, ders BB 03, 812; aA Eidenmüller ZIP 02, 2231, 2244). Freilich ist die weitere Entwicklung in der Rspr offen. Die Problematik ist jedoch weitgehend entschärft, weil eine nach einer Auslandsgründung ins Inland verlegte und darum laut Sitztheorie nach ihrem Gründungsrecht nicht weiter rechts- und parteifähige Gesellschaft infolge ihrer Inlandsaktivitäten regelmäßig als GbR anzusehen ist, die rechtsfähig sowie aktiv und passiv parteifähig ist (BGHZ 151, 204 = NJW 02, 3539).