I. Allgemeines.
Rn 42
Die Zulassung der Berufung durch das erstinstanzliche Gericht hat in der Praxis nur eine geringe Bedeutung, denn sie kann nach Abs 4 S 1 Nr 2 – neben den Voraussetzungen der Nr 1 – nur in den Fällen erfolgen, in denen die Beschwer mindestens einer Partei 600 EUR nicht übersteigt. In allen anderen Fällen bedarf es der Zulassung nicht, weil die Berufung bereits kraft Gesetzes (Abs 2 Nr 1) zulässig ist. Der Zweck der Regelung besteht darin, in rechtlich, aber nicht wirtschaftlich bedeutsamen Fällen zunächst eine Entscheidung der 2. Instanz zu ermöglichen und damit mittelbar die Revisionsinstanz zu eröffnen (BTDrs 14/4722, 93). Liegt ein Zulassungsgrund (s Rn 44 ff) vor, muss das Gericht die Berufung zulassen. Das muss nicht zwingend im Tenor, sondern kann auch in den Gründen ausgesprochen sein (BGH WM 16, 1853, 1854).
Rn 43
Entgegen der Begründung des Regierungsentwurfs zur Einführung der Zulassungsberufung, die im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, kann das erstinstanzliche Gericht die Zulassung der Berufung beschränken (BGH VersR 18, 313). Die Voraussetzungen dafür sind dieselben wie bei der beschränkten Revisionszulassung: Bei der Entscheidung über mehrere Streitgegenstände ist die Beschränkung auf einen Anspruch zulässig, wenn die Entscheidung über diesen Anspruch nicht von der über die anderen Ansprüche abhängt (vgl BGH NJW-RR 06, 877); ist in dem erstinstanzlichen Urt über Klage und Widerklage entschieden, kann das Gericht die Berufung nur hinsichtlich der einen Entscheidung zulassen; die Beschränkung der Berufungszulassung zugunsten einer von mehreren Prozessparteien ist zulässig, wenn diese nicht notwendige Streitgenossen sind; wenn über einen einheitlichen prozessualen Anspruch durch Teilurteil (§ 301) und Schlussurteil hätte entschieden werden können, kann die Berufung hinsichtlich nur einer Teilfrage zugelassen werden; die auf den Grund oder Betrag des Anspruchs beschränkte Zulassung der Berufung ist zulässig, wenn der Rechtsstreit durch ein Grundurteil (§ 304) und ein Schlussurteil hätte entschieden werden können (BGH NJW-RR 09, 1431 [BGH 02.07.2009 - V ZB 40/09]); die Beschränkung der Berufungszulassung auf einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel, soweit sie einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen, abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes oder ein Teilrechtsverhältnis betrifft, welches Gegenstand einer Feststellungsklage (§ 256) sein könnte; auf einzelne rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte, bestimmte Rechtsfragen oder einzelne Urteilselemente kann die Zulassung der Berufung nicht beschränkt werden (vgl BGH NJW-RR 06, 877, 878 [BGH 08.03.2006 - IV ZR 263/04]).
II. Zulassungsgründe.
Rn 44
Das Gesetz nennt in Abs 4 S 1 Nr 1 drei Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist: Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie die Notwendigkeit einer Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. Damit gelten hier dieselben Gründe wie für die Zulassung der Revision (§ 543 II 1) und der Rechtsbeschwerde (§ 574 II). Das beruht auf der ›Passierscheinfunktion‹ (MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 61) der Zulassungsberufung, mit der mittelbar der Weg in die Revisionsinstanz eröffnet wird. Denn im Hinblick auf die Rechtssicherheit, soweit es um die Rechtsanwendung durch die Gerichte geht, können grundsätzliche Rechtsfragen nur höchstrichterlich geklärt werden, und nur der BGH kann Rechtsfortbildung betreiben und die Einheitlichkeit der Rspr sichern.
1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Rn 45
Eine Rechtssache hat zum einen dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291). Zum anderen ist eine Rechtssache auch dann von grundsätzlicher Bedeutung, wenn das tatsächliche oder wirtschaftliche Gewicht des Rechtsstreits nicht nur für die Parteien, sondern auch für die Allgemeinheit eine besondere Bedeutung hat (BGHZ 154, 288, 292). Das ist zB bei Musterprozessen und solchen Verfahren der Fall, in denen es um die Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, anderen typischen Vertragsklauseln oder Tarifen geht. Dagegen scheidet die Zulassung der Berufung wegen grds Bedeutung bei einer nur auf den konkreten Fall bezogenen Rechtsanwendung und bei Entscheidungen aus, deren Ergebnis auf einer Beweiswürdigung beruht.
Rn 46
Entscheidungserheblich ist die Rechtsfrage, wenn das erstinstanzliche Urt auf ihrer Beantwortung in der einen oder anderen Richtung beruht. Klärungsbedürftigkeit liegt vor, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft ist, weil dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und eine höchstrichterliche Entscheidung noch nicht ergangen ist (s aber BVerfG NJW-RR 09, 1026 [BVerfG 25.02.2009 - 1 BvR 3598/08]: keine Grundsatzbedeutung trotz fehlender BGH-Entscheidung, wenn das Berufungsgericht ...