Rn 6
Kann ein Versäumnisurteil – ausnahmsweise – nicht mit dem Einspruch (§ 338) angefochten werden, ist die Berufung das statthafte Rechtsmittel. Allerdings führt das Berufungsverfahren nicht zu einer vollen sachlichen Überprüfung des Urteils; denn das Rechtsmittel kann nur damit begründet werden, dass kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen hat, und darauf ist die Prüfungsbefugnis des Berufungsgerichts beschränkt. Anders (sachliche Überprüfung) ist es dann, wenn das erstinstanzliche Gericht zu Unrecht ein berufungsfähiges Versäumnisurteil anstelle eines berufungsunfähigen erlassen hat, gegen das neben der Berufung auch der Einspruch gegeben wäre (Frankf, Urt v 10.8.10, 9 U 61/08).
I. Unstatthafter Einspruch.
Rn 7
Der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist in zwei Fällen nicht statthaft: Zum einen bei einem Versäumnisurteil, mit welchem der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil – auch gegen ein aufgrund gesonderter mündlicher Verhandlung ergangenes Versäumniszwischenurteil nach § 347 II – oder gegen einen Vollstreckungsbescheid (§ 700) wegen erneuter Säumnis der Partei verworfen wird (2. Versäumnisurteil, § 345), unabhängig davon, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen; zum anderen bei einem Versäumnisurteil, mit welchem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen wird (§ 238 II 2).
II. Fehlende Versäumung.
Rn 8
Gemeint ist die Säumnis in derjenigen mündlichen Verhandlung, aufgrund der das mit der Berufung anzufechtende Versäumnisurteil ergangen ist, also in dem Einspruchstermin. Deshalb kann der Berufungsführer sein Rechtsmittel nicht darauf stützen, dass die Voraussetzungen für den Erlass des ersten Versäumnisurteils nicht vorgelegen haben; diesen Einwand musste er in dem Einspruchstermin vorbringen (BGH NJW-RR 20, 575 f). Anders ist es bei der Berufung gegen das den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid verwerfende Versäumnisurteil. In diesem Fall kann der Berufungsführer geltend machen, dass der Erlass des Vollstreckungsbescheids wegen rechtzeitigen Widerspruchs des Schuldners unzulässig (BGHZ 73, 87) oder die Klage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch unzulässig oder unschlüssig gewesen sei (BGHZ 112, 367).
Rn 9
Die Säumnis fehlt, wenn die Partei zu dem Einspruchstermin nicht ordnungsgemäß geladen oder wenn ihr oder ihrem Vertreter rechtsfehlerhaft der Vortrag entzogen (§ 157 II) oder wenn sie oder ihr Vertreter zu Unrecht von der Verhandlung entfernt worden war (§ 158), wenn die Sache vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung nicht oder fehlerhaft aufgerufen worden war (§ 220 I) und wenn die Partei trotz unvollständiger Verhandlung (§ 334) als säumig angesehen worden war.
III. Schuldlose Versäumung.
Rn 10
Nicht nur die fehlende, sondern auch die schuldlose Versäumung kann mit der Berufung geltend gemacht werden. Der Verschuldensmaßstab entspricht dem bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233). Demnach gereicht es der Partei nicht zum Verschulden, wenn sie oder ihr Prozessbevollmächtigter wegen eines unvorhergesehenen Verkehrshindernisses (BGH NJW 99, 724 [BGH 19.11.1998 - IX ZR 152/98]) oder wegen einer kurzfristig eingetretenen Erkrankung nicht (rechtzeitig) zu dem Einspruchstermin erschienen ist, sofern sie das ihnen Mögliche und Zumutbare unternommen haben, um dem Gericht rechtzeitig die Verhinderung mitzuteilen (BGH NJW 07, 2047, 2048 [BGH 22.03.2007 - IX ZR 100/06]); wenn wegen der Zusage des Prozessgegners, kein Versäumnisurteil zu beantragen (BGH NJW 76, 196 [BGH 09.10.1975 - VII ZR 242/73]) oder in dem Einspruchstermin einen Rechtsanwalt mit dem Verhandeln in Untervollmacht zu veranlassen (Karlsr NJW 74, 1096 [OLG Karlsruhe 19.12.1973 - 1 U 113/73]), oder wegen eines Anwaltsbrauchs (BGH NJW 99, 2120, 2122 [BGH 22.04.1999 - IX ZR 364/98]) nicht mit dem Erlass des Versäumnisurteils gerechnet werden musste; und wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter in dem Einspruchstermin nicht verhandelt hat, weil über einen rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag bis dahin nicht entschieden worden war (LG Münster MDR 91, 160).
IV. Keine Wert- und Zulassungsberufung.
Rn 11
Nach Abs 2 S 2 ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Berufung gegen das nicht mit dem Einspruch anfechtbare Versäumnisurteil auch dann statthaft, wenn die Berufungssumme (§ 511 Rn 15 ff) nicht erreicht und das erstinstanzliche Gericht das Rechtsmittel nicht zugelassen hat (§ 511 Rn 42 ff). Diese Ausnahmeregelung dient der Sicherung des Anspruchs der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG).