a) Form.
Rn 4
Frühester Zeitpunkt des Beginns der Berufungsfrist ist die wirksame Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils. Das gilt auch für den Fall, dass bereits vorher Berufung eingelegt worden ist. Gemeint ist die Zustellung vAw in der in §§ 166–190 bestimmten Form. Eine Zustellung im Parteibetrieb setzt den Lauf der Berufungsfrist nicht in Gang. Dasselbe gilt für Zustellungen, die während der Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens (§§ 239 ff) vorgenommen werden, denn sie sind nicht wirksam (BGHZ 111, 104, 107). Auch wenn bei der öffentlichen Zustellung (§ 185) deren Voraussetzungen für das erstinstanzliche Gericht erkennbar nicht vorlagen, beginnt die Berufungsfrist nicht zu laufen (BGH NJW 07, 303 [BGH 06.10.2006 - V ZR 282/05]). Dagegen schaden Zustellungsmängel nicht; die Frist beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Zustellungsempfänger (Rn 8) das erstinstanzliche Urt tatsächlich zugegangen ist (§ 189).
b) Inhalt.
Rn 5
Der Fristbeginn setzt die Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils voraus. Selbstverständlich wird nicht die bei den Akten verbleibende Urschrift, sondern eine Ausfertigung der Entscheidung zugestellt (BGH MDR 11, 65 [BGH 28.10.2010 - VII ZB 40/10]). Auch die Zustellung einer beglaubigten Urteilsabschrift setzt den Lauf der Berufungsfrist in Gang (BGH MDR 16, 667 [BGH 27.01.2016 - XII ZB 684/14]). Beides muss die Urschrift im Wesentlichen wortgetreu und richtig wiedergeben. Bei Abweichungen zwischen Urschrift und zugestellter Ausfertigung ist für den Beginn des Laufs der Berufungsfrist allein der Inhalt der Ausfertigung maßgeblich, weil nur sie nach außen in Erscheinung tritt und die durch das erstinstanzliche Urt beschwerte Partei ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss (BGH NJW-RR 06, 1570, 1571 [BGH 24.05.2006 - IV ZB 47/05]). Insbesondere ist die Zustellung dann wirksam, wenn der von der Urschrift abweichende Inhalt der Ausfertigung auf einem Fehler beruht, der – wäre er bei der Abfassung des Urteils unterlaufen – nach § 319 hätte korrigiert werden können (BGH aaO).
Rn 6
Allenfalls schwerwiegende Mängel der Ausfertigung wie zB Abweichungen von der Urschrift in wesentlichen Punkten führen zur Unwirksamkeit der Zustellung und damit dazu, dass die Berufungsfrist nicht zu laufen beginnt (BGH NJW 01, 1653, 1654). Von der Wesentlichkeit idS ist dann auszugehen, wenn die Abweichung in der Ausfertigung die Entscheidung der Partei, ob sie Berufung einlegt oder nicht, beeinflussen kann (BGH ZIP 93, 74, 75). Daran fehlt es, wenn die Ausfertigung keinen oder einen hinsichtlich der Person des Unterzeichners unvollständigen Verkündungsvermerk (§ 315 III) enthält (BGH aaO), ebenso wenn unwesentliche Teile des Tatbestands (§ 313 I Nr 5) oder der Entscheidungsgründe (§ 313 I Nr 6) unleserlich sind (BGH NJW-RR 00, 1665, 1666 [BGH 13.04.2000 - V ZB 48/99]). Entscheidend, aber auch ausreichend ist, dass der Adressat aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und insb seine Beschwer erkennen kann (BGH aaO). Ist das der Fall, beginnt mit einer weiteren Zustellung nunmehr der mangelfreien Ausfertigung keine neue Berufungsfrist zu laufen (BGH NJW-RR 06, 563, 564 [BGH 20.10.2005 - IX ZB 147/01]).
Rn 7
Der Lauf der Berufungsfrist wird nicht in Gang gesetzt, wenn die Ausfertigung eines unechten Versäumnisurteils (§ 514 Rn 3) zugestellt wird, das keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthält (BGH NJW-RR 91, 255 [BGH 31.05.1990 - VII ZB 1/90]); bei dem die Unterschrift eines Richters ohne Angabe des Verhinderungsgrundes (§ 315 I) ersetzt (BGH NJW 80, 1849, 1850 [BGH 21.05.1980 - VIII ZR 196/79]) oder der Verhinderungsvermerk nicht unterschrieben worden ist (BGH NJW 61, 782 [BGH 12.01.1961 - II ZR 149/60]). Auch wenn die Urteilsausfertigung selbst – und nicht nur die Urschrift – unvollständig ist, weil eine Seite fehlt, beginnt mit ihrer Zustellung die Berufungsfrist nicht zu laufen (BGHZ 138, 166, 169).
Rn 8
Ist der zugestellten Ausfertigung eine inhaltlich falsche Rechtsmittelbelehrung beigefügt, ändert das nichts an der Wirksamkeit der Zustellung und damit an dem Beginn der Berufungsfrist, denn eine solche Belehrung ist im Gesetz nicht vorgesehen; ihre Beifügung kann deshalb allenfalls Bedeutung iRe Wiedereinsetzung haben (BGH WM 91, 1740 [BGH 03.07.1991 - IV ZB 5/91]).
c) Adressat.
Rn 9
Zustellungsempfänger sind die Parteien, bei einem verkündeten Versäumnisurteil nur die unterlegene Partei (§ 317 I S 1) bzw ihr Prozessbevollmächtigter (§ 172 I). Bei nicht prozessfähigen Parteien (§§ 51 ff) muss die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter erfolgen, die Zustellung an die Partei selbst ist unwirksam (§ 170 I). Das gilt jedoch nur, wenn in dem erstinstanzlichen Verfahren die fehlende Prozessfähigkeit zu Tage getreten ist; bei unerkannt gebliebener Prozessunfähigkeit ist die Zustellung an die Partei wirksam und setzt den Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang, selbst wenn der Gegner die fehlende Prozessfähigkeit kannte (BGHZ 104, 109, 111 ff).
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