Prof. Dr. Markus Gehrlein
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Die Prozessfähigkeit ist Sachurteilsvoraussetzung und Prozesshandlungsvoraussetzung (BGH RR 11, 284 Rz 4). Fehlt die Prozessfähigkeit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch der Berufungs- oder Revisionsinstanz (BAG NJW 15, 269 Rz 13), ist die Klage als unzulässig abzuweisen (BGHZ 143, 122 = NJW 00, 289 f). Verliert die Partei während des Rechtsstreits die Prozessfähigkeit, kommt es zur Unterbrechung (§ 239) oder Aussetzung (§ 246) des Verfahrens. Erlangt umgekehrt die Partei im Laufe des Rechtsstreits die Prozessfähigkeit (vgl § 108 III), führt sie anstelle des gesetzlichen Vertreters den Rechtsstreit weiter (BGH NJW 83, 2084 f [BGH 23.02.1983 - IVb ZR 359/81]). In der Fortführung und Steuerung des Prozesses durch die prozessfähig gewordene Partei oder den nachträglich bestellten gesetzlichen Vertreter (BGH NJW-RR 04, 330 f [BGH 24.11.2003 - II ZR 127/01]) ist eine Genehmigung der bisherigen Prozessführung zu erblicken (BGH NJW 99, 3263 f [BGH 21.06.1999 - II ZR 27/98]). Ist eine Gesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten, können die gesetzlichen Vertreter in den Prozess eintreten und die Prozessführung genehmigen (BGH NJW 10, 2886 [BGH 19.07.2010 - II ZR 56/09] Rz 8). Die Genehmigung kann nur im Ganzen und nicht für einzelne Verfahrensabschnitte erklärt werden (BGHZ 92, 137, 140 ff = NJW 87, 130). Kraft § 2039 BGB kann ein einzelner Miterbe nach dem Tod des prozessunfähigen Kl dessen Prozessführung genehmigen (BGHZ 23, 207, 212 = NJW 57, 906). Ein Antrag auf PKH setzt die Prozessfähigkeit des Antragstellers voraus (BGH BeckRS 21, 40444 Rz 8). Von oder ggü einer prozessunfähigen Partei vorgenommene Prozesshandlungen sind unwirksam (BGHZ 110, 294, 296 = NJW 90, 1734). Die Zustellung des Urteils an einen (unerkannt) Prozessunfähigen ist wirksam und setzt – auch im Blick auf den Eintritt der Rechtskraft – die Rechtsmittelfristen in Lauf (BGHZ 104, 109 = NJW 88, 2049; aA Zö/Vollkommer Rz 13). Wird der Mangel im Verfahren nicht erkannt, kann er nachträglich mit einer Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden (§ 579 I Nr 4); zugleich ist in diesem Fall das rechtliche Gehör verletzt (Art 103 I GG; BVerfG NJW 98, 745; BGHZ 84, 24, 28 = NJW 82, 2449). Zwar darf nach der Lebenserfahrung regelmäßig von der Prozessfähigkeit einer Partei ausgegangen werden; jedoch ist – in jeder Lage des Verfahrens – eine Prüfung angezeigt, wenn hinreichende Anhaltspunkte den Verdacht einer fehlenden Prozessfähigkeit nahelegen (BGH NJW 96, 1059 f). Bleiben nach sachverständiger Begutachtung Zweifel an der Prozessfähigkeit einer Person, ist sie als prozessunfähig anzusehen (BGHZ 143, 122, 124 = NJW 00, 289 f; BGH RR 11, 284 Rz 4; BGH NJW 96, 1059). Vor Erlass eines Prozessurteils muss der Partei auch in zeitlicher Hinsicht die Möglichkeit eingeräumt werden, durch die Bestellung eines Betreuers (§ 1814 Abs 3 S 2 BGB) für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen (BGH RR 11, 284 Rz 7 ff). Bestehen begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit einer Partei bzw sind die zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten noch nicht erschöpft, darf deshalb ein gg sie gerichtetes Versäumnisurteil nicht ergehen (BGH WM 21, 1563 Rz 9 ff). Für den Streit über ihre Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei als prozessfähig anzusehen (BGH RR 11, 284 Rz 3; FamRZ 12, 631 Rz 3; WM 21, 1563 Rz 8)