Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann.
A. Begriff.
Rn 1
Die Zuerkennung der Parteifähigkeit bedeutet, dass ein Rechtssubjekt im eigenen Namen als Kl oder Bekl an einem Rechtsstreit teilnehmen kann. Eine von der Parteifähigkeit zu trennende Frage ist es, ob die Partei den Rechtsstreit auch selbst führen und vor Gericht auftreten darf oder hierfür einen gesetzlichen Vertreter benötigt. Sie wird durch § 52 beantwortet, der für die Prozessfähigkeit iSd prozessualen Handlungsfähigkeit eine selbstständige Regelung trifft. Die Prozessfähigkeit, deren Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit des materiellen Rechts entsprechen, meint die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch einen selbst bestellten Vertreter vornehmen oder entgegennehmen zu können. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, im Interesse der nicht geschäftsfähigen Partei, aber auch des Gegners und des Gerichts die Prozessführung in die Hände des gesetzlichen Vertreters zu legen (BGHZ 41, 303, 306 = NJW 64, 1855; BGH NJW 88, 49, 51).
B. Prozessfähigkeit natürlicher Personen.
Rn 2
Unbeschränkt geschäftsfähige volljährige natürliche Personen sind prozessfähig. Im Gegensatz dazu sind geschäftsunfähige Personen, Minderjährige unter sieben Jahren (§ 104 Nr 1 BGB) und Volljährige bei einer krankhaften Störung der Geistesfähigkeit (§ 104 Nr 2 BGB), prozessunfähig. Ebenso wie die auf einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten begrenzte partielle Geschäftsunfähigkeit ist auch die partielle Prozessunfähigkeit möglich (BGHZ 30, 112, 117 f = NJW 59, 1587; BGHZ 18, 184, 186 f = NJW 55, 1744: Nichtverarbeitung der Ehescheidung; BGHZ 143, 122, 124 = NJW 00, 289 f: Enttäuschte Liebe), während eine relative, auf besonders schwierige Geschäfte begrenzte Geschäfts- und Prozessunfähigkeit keine Anerkennung gefunden hat (BGH NJW 70, 1680 f; 61, 261). Betreute und Abwesende bleiben voll geschäfts- und prozessfähig, werden aber in von dem Betreuer oder Pfleger geführten Prozessen als prozessunfähig behandelt (BGH NJW 88, 49, 51). Betreute Volljährige sind bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1825 BGB nF) im Aufgabenkreis des Betreuers prozessunfähig (BGH BeckRS 21, 40444 Rz 10). Minderjährige ab sieben Jahren sind als beschränkt Geschäftsfähige (§§ 107 ff BGB) prozessunfähig, weil das Prozessrecht keine beschränkte Prozessfähigkeit kennt (St/J/Bork § 51 Rz 2; R/S/G § 44 Rz 6). Soweit der Bereich der §§ 112, 113 BGB berührt ist, sind Minderjährige voll geschäfts- und prozessfähig. Prozessfähigkeit ist auch im Zulassungsstreit über diese Frage gegeben (BGHZ 110, 294 f = NJW 90, 1734; BGH NJW 96, 1059 f; BAG 15, 269 Rz 13; Kobl RR 08, 1384). Die Geschäftsfähigkeit von Ausländern beurteilt sich nach ihrem Heimatrecht (Art 7 EGBGB).
C. Rechtsfolgen fehlender Prozessfähigkeit.
Rn 3
Die Prozessfähigkeit ist Sachurteilsvoraussetzung und Prozesshandlungsvoraussetzung (BGH RR 11, 284 Rz 4). Fehlt die Prozessfähigkeit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch der Berufungs- oder Revisionsinstanz (BAG NJW 15, 269 Rz 13), ist die Klage als unzulässig abzuweisen (BGHZ 143, 122 = NJW 00, 289 f). Verliert die Partei während des Rechtsstreits die Prozessfähigkeit, kommt es zur Unterbrechung (§ 239) oder Aussetzung (§ 246) des Verfahrens. Erlangt umgekehrt die Partei im Laufe des Rechtsstreits die Prozessfähigkeit (vgl § 108 III), führt sie anstelle des gesetzlichen Vertreters den Rechtsstreit weiter (BGH NJW 83, 2084 f [BGH 23.02.1983 - IVb ZR 359/81]). In der Fortführung und Steuerung des Prozesses durch die prozessfähig gewordene Partei oder den nachträglich bestellten gesetzlichen Vertreter (BGH NJW-RR 04, 330 f [BGH 24.11.2003 - II ZR 127/01]) ist eine Genehmigung der bisherigen Prozessführung zu erblicken (BGH NJW 99, 3263 f [BGH 21.06.1999 - II ZR 27/98]). Ist eine Gesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten, können die gesetzlichen Vertreter in den Prozess eintreten und die Prozessführung genehmigen (BGH NJW 10, 2886 [BGH 19.07.2010 - II ZR 56/09] Rz 8). Die Genehmigung kann nur im Ganzen und nicht für einzelne Verfahrensabschnitte erklärt werden (BGHZ 92, 137, 140 ff = NJW 87, 130). Kraft § 2039 BGB kann ein einzelner Miterbe nach dem Tod des prozessunfähigen Kl dessen Prozessführung genehmigen (BGHZ 23, 207, 212 = NJW 57, 906). Ein Antrag auf PKH setzt die Prozessfähigkeit des Antragstellers voraus (BGH BeckRS 21, 40444 Rz 8). Von oder ggü einer prozessunfähigen Partei vorgenommene Prozesshandlungen sind unwirksam (BGHZ 110, 294, 296 = NJW 90, 1734). Die Zustellung des Urteils an einen (unerkannt) Prozessunfähigen ist wirksam und setzt – auch im Blick auf den Eintritt der Rechtskraft – die Rechtsmittelfristen in Lauf (BGHZ 104, 109 = NJW 88, 2049; aA Zö/Vollkommer Rz 13). Wird der Mangel im Verfahren nicht erkannt, kann er nachträglich mit einer Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden (§ 579 I Nr 4); zugleich ist in diesem Fall das rechtliche Gehör verletzt (Art 103 I GG; BVerfG NJW 98, 745; BGHZ 84, 24, 28 = NJW 82, 2449). Zwar darf nach der Lebenserfahrung regelmäßig von der Prozessfähigkeit einer Partei ausgeg...