I. Von Amts wegen.
Rn 2
Die Zulässigkeitsprüfung vAw steht unter dem verfassungsrechtlichen Postulat (Art 19 IV GG), den Parteien den Zugang zu der Berufungsinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht gebotener Weise zu erschweren (s nur BVerfGE 88, 118, 124 [BVerfG 02.03.1993 - 1 BvR 249/92]); hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung nicht in einer mit dem Grundrecht aus Art 19 IV unvereinbaren Weise überspannt werden dürfen (BVerfG NJW-RR 07, 862, 863 [BVerfG 06.02.2007 - 1 BvR 191/06]).
Rn 3
Von Amts wegen heißt, dass das Berufungsgericht den gesamten Prozessstoff in Bezug auf die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels würdigen muss. Es ist jedoch weder berechtigt noch verpflichtet, im Wege der Amtsermittlung Tatsachen zu erforschen und in das Verfahren einzuführen; vielmehr ist es Sache des Berufungsklägers, das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen darzulegen und die notwendigen Nachweise vorzulegen (vgl BGH NJW-RR 00, 1156 f [BGH 21.02.2000 - II ZR 231/98]). Das Gericht hat im Wege freier Beweiswürdigung zu klären, ob das Rechtsmittel zulässig ist (BGH NJW-RR 22, 1579, 1580 [BGH 29.06.2022 - VII ZB 52/21]).
II. Statthaftigkeit der Berufung.
Rn 4
Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt (§ 511 I). Zu den Voraussetzungen der Statthaftigkeit im Einzelnen kann hier auf die Erläuterungen in § 511 Rn 1–12 verwiesen werden.
III. Zulässigkeit der Berufung.
Rn 5
Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt oder das erstinstanzliche Gericht die Berufung in seinem Urt zugelassen hat (§ 511 II). Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen kann hier auf die Erläuterungen in § 511 Rn 13–52 verwiesen werden. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Einlegung und Begründung der Berufung in der gesetzlichen Form und Frist. Zu diesen Voraussetzungen wird auf die Erläuterungen zu den §§ 517–520 verwiesen.
Rn 6
Zulässigkeitsvoraussetzung ist auch die Beschwer des Berufungsklägers aus dem erstinstanzlichen Urt (s dazu § 511 Rn 17 ff). Demnach erstreckt sich die Zulässigkeitsprüfung auch auf diesen Punkt.
Rn 7
Schließlich gehört auch die Beurteilung der Prozessfähigkeit des Berufungsklägers zu den Aufgaben des Berufungsgerichts iRd Zulässigkeitsprüfung. Bei Streit um die Prozessfähigkeit wird ein evtl prozessunfähiger Berufungskläger so behandelt, als sei er prozessfähig (BGH NJW 00, 289). Stellt sich heraus, dass die Prozessunfähigkeit bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vorlag, ist nicht die Berufung als unzulässig zu verwerfen, sondern die Klage als unzulässig abzuweisen; dem liegt der Gedanke des umfassenden Rechtsschutzes auch für einen Prozessunfähigen zu Grunde (BGH NJW 00, 289, 291 [BGH 04.11.1999 - III ZR 306/98]).
IV. Verfahren.
Rn 8
Die Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen Fehlens einer Zulässigkeitsvoraussetzung kann nach Abs 1 S 3 durch Beschl erfolgen. Darin muss der maßgebliche Sachverhalt, über den entschieden wurde, wiedergegeben werden; auch müssen der Streitgegenstand und die von den Parteien gestellten Anträge erkennbar sein (BGH MDR 19, 954). Eine mündliche Verhandlung über die Zulässigkeit der Berufung wird in das nicht nachprüfbare Ermessen des Berufungsgerichts gestellt. Sie ist in der Praxis eher die Ausnahme. In der Regel steht nämlich spätestens nach dem Eingang der Berufungsbegründung (§ 520) fest, ob das Rechtsmittel unzulässig ist oder nicht. Bestehen jedoch Zweifel an der Zulässigkeit, muss versucht werden, sie in einer mündlichen Verhandlung zu beseitigen. Das erfordert schon die in Art 6 I EMRK enthaltene Garantie der Öffentlichkeit des Zivilprozesses, die auch die Garantie der mündlichen Verhandlung einschließt.
Rn 9
Die Tatsachen, aus denen sich die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Berufung ergeben, müssen zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden; an die Überzeugungsbildung werden insoweit keine höheren oder geringeren Anforderungen als sonst gestellt (BGH NJW 07, 1457 [BGH 16.01.2007 - VIII ZB 75/06]; NJW-RR 22, 1581, 1582 [BGH 13.07.2022 - VII ZB 29/21]). Eine Ausnahme gilt für die Feststellung des Erreichens der Berufungssumme von mehr als 600 EUR; hierfür reicht nach § 511 III die Glaubhaftmachung (§ 294) mit Ausnahme der eidesstattlichen Versicherung aus.
Rn 10
Die Beweislast für die zulässigkeitsrelevanten Tatsachen mit Ausnahme solcher, die gerichtsinterne Vorgänge betreffen (aA St/J/Althammer § 522 Rz 2), trägt der Berufungskläger.
V. Entscheidung des Berufungsgerichts.
1. Allgemeines.
Rn 11
Erst wenn die Unzulässigkeit der Berufung endgültig feststeht, ist sie zu verwerfen. Der Verwerfungsbeschluss muss den maßgebenden Sachverhalt wiedergeben sowie den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (BGH ZWE 12, 336). Daraus folgt, dass das Berufungsgericht in den Fällen der Versäumung der Berufungs- oder Begründungsfrist auf Antrag des Berufungsklägers zunächst über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff) entscheiden muss (BGH NJW-RR 11, 995, 996 [BGH 23.03.2011 - XII ZB 51/11]). Dasselbe gilt, wenn eine Wiedereinsetzung vAw in Betracht kommt (§ 23...